Leitsatz (amtlich)
Zu den Anforderungen an die Darlegungen in den Urteilsgründen beim Absehen von der Verhängung des Regelfahrverbots (hier bei einem freiberuflich tätigen Architekten)
Verfahrensgang
AG Bielefeld (Aktenzeichen 37 OWi 346/11) |
Tenor
Der angefochtene Beschluss wird mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die
Kosten der Rechtsbeschwerde, an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Bielefeld zurückverwiesen.
Gründe
I.
Der Oberbürgermeister der Stadt Bielefeld verhängte gegen den Betroffenen mit Bußgeldbescheid vom 16. Februar 2011 wegen (fahrlässiger) Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit eine Geldbuße von 240 € und ordnete ein Fahrverbot für die Dauer von einem Monat an. Nach den Feststellungen im Bußgeldbescheid befuhr der am Tattag 65 Jahre alte Betroffene mit einem Pkw am
9. Januar 2011 um 20.22 Uhr in Bielefeld außerhalb einer geschlossenen Ortschaft die Bundesautobahn 2 in Fahrtrichtung Hannover in Höhe des Streckenkilometers 329,415 mit einer Geschwindigkeit von 146 km/h, obwohl an der Messstelle die
zulässige Höchstgeschwindigkeit durch Vorschriftzeichen auf 100 km/h festgesetzt war.
Seinen zunächst unbeschränkt eingelegten Einspruch hat der Betroffene durch Erklärung gegenüber dem Amtsgericht formell und materiell wirksam auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt.
Mit dem angefochtenen, im Verfahren nach § 72 OWiG ergangenen Beschluss setzte das Amtsgericht eine Geldbuße von 480 € fest, ein Fahrverbot ordnete es nicht an.
Mit ihrer mit der Rüge der Verletzung materiellen Rechts begründeten Rechtsbeschwerde, der die Generalstaatsanwaltschaft beigetreten ist, wendet sich die Staatsanwaltschaft dagegen, dass das Amtsgericht von der Verhängung eines Fahrverbotes abgesehen hat.
II.
Die nach § 79 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 OWiG statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde ist begründet. Der Beschluss des Amtsgerichts, das zutreffend von der formellen und materiellen Wirksamkeit der Einspruchsbeschränkung ausgegangen ist, hält sachlich-rechtlicher Überprüfung nicht stand.
1. Nach § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Satz 2 BKatV i. V. m. Nr. 11.3.7 der Tabelle 1 zum Bußgeldkatalog kommt die Anordnung eines Fahrverbotes von einem Monat wegen grober Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers nach § 25 Abs. 1 Satz 1 StVG in der Regel in Betracht, wenn der Fahrzeugführer die zulässige Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 41 bis 50 km/h überschreitet. Die vorgenannten Regelungen der Bußgeldkatalog-Verordnung begründen auf der tatbestandlichen Ebene eine Vermutung dafür, dass der Verstoß eine grobe Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers im Sinne des § 25 Abs. 1 Satz 1 StVG darstellt (Deutscher in: Burhoff [Hrsg.], Handbuch für das
straßenverkehrsrechtliche OWi-Verfahren, 2. Aufl. [2009], Rdnr. 1139), und indizieren auf der Rechtsfolgenseite des § 25 Abs. 1 Satz 1 StVG die Anordnung eines Fahrverbotes als erforderliche und angemessene Sanktion für den Verstoß (Deutscher, a.a.O., Rdnr. 1140).
2. Die Ausführungen des Amtsgerichts vermögen ein Absehen von der Verhängung eines Fahrverbotes nicht zu rechtfertigen.
Nach den Feststellungen des Amtsgerichts ist der Betroffene verheiratet und bezieht bereits eine Rente. Zur Begründung der Entscheidung, von der Verhängung eines Fahrverbotes abzusehen, hat das Amtsgericht ausgeführt, ein solches Verbot treffe den Betroffenen in unzumutbarer Weise. Der Betroffene sei noch in erheblichem Umfang freiberuflich als Architekt tätig. In naher Zukunft sei er an der Realisierung von fünf großen Bauprojekten beteiligt. Die sachgerechte Betreuung dieser Bauprojekte erfordere die Benutzung eines Pkw; eine Anfahrt mit öffentlichen Verkehrsmitteln sei nicht möglich. Die zu überwindenden Entfernungen seien nicht zuletzt deswegen zum Teil erheblich, weil der Betroffene nicht in einem Ballungsraum, sondern in
S1 in einem ländlichen Umfeld wohne. Die Ehefrau des Betroffenen könne
dieser nicht als Fahrerin einsetzen, da sie schwerbehindert sei. Der Betroffene
müsse im Gegenteil sogar Fahrten für seine Ehefrau durchführen. Um gegebenenfalls auch kurzfristig zu einer Baustelle gelangen zu können, müsse der Betroffene letztlich einen Fahrer auf Vollzeitbasis einstellen. Es entziehe sich der Kenntnis des Amtsgerichts, ob in S1 eine geeignete Person zur Verfügung stehe, die der
Betroffene für die Dauer eines Fahrverbotes als Fahrer einstellen und beschäftigen könne. Die Kosten für ein solches Beschäftigungsverhältnis stünden jedenfalls in keinem angemessenen Verhältnis mehr zu der Bedeutung des Tatvorwurfs.
3. Die Vermutungswirkung des § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BKatV für das Vorliegen einer groben Pflichtverletzung im Sinne des § 25 Abs. 1 Satz 1 StVG ist durch die Ausführungen in dem angefochtenen Beschluss nicht widerlegt. Auch auf der Rechtsfolgenseite des § 25 Abs. 1 Satz 1 StVG rechtfertigen die Ausführungen des Amtsgerichts ein Absehen von der Verhängung eines Fahrverbotes nicht.
a) Zwar un...