Leitsatz (amtlich)
Die Beschreibung der Rechtsstellung einer Vorerbin in einem privatschriftlichen Testament
"Frau ... soll die ... Ertragsüberschüsse erhalten. Sie soll berechtigt sein, auch über das Nachlassvermögen aus der Vorerbschaft nach ihrem freien Ermessen bei Bedarf zu verfügen."
ist als befreite Vorerbschaft auszulegen.
Normenkette
BGB § 2136
Verfahrensgang
LG Hagen (Beschluss vom 21.07.2010; Aktenzeichen 3 T 718/08) |
AG Lüdenscheid (Aktenzeichen 9 VI 67/06) |
Tenor
Der angefochtene Beschluss wird abgeändert.
Unter Aufhebung des Vorbescheids vom 19.6.2006 wird das AG angewiesen, der Beteiligten zu 1) den von ihr am 7.2.2006 beantragten Erbschein zu erteilen.
Außergerichtliche Kosten werden in dem Verfahren der Beschwerde und in dem Verfahren der weiteren Beschwerde nicht erstattet.
Im Übrigen verbleibt es bei der Festsetzung des Gegenstandswerts des Beschwerdeverfahrens durch den angefochtenen Beschluss.
Der Gegenstandswert des Verfahrens der weiteren Beschwerde wird auf 200.000 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Die Erblasserin war unverheiratet und kinderlos. Ihre Eltern sind vorverstorben. Die einzige Schwester der Erblasserin ist am 15.10.2005 ebenfalls vorverstorben. Deren Kinder sind die Beteiligten zu 2) und 3). Die Beteiligte zu 1) ist die Lebensgefährtin der Erblasserin, mit der sie seit 1954 bis zu ihrem Tode zusammen lebte.
In einem handschriftlich verfassten und eigenhändig unterschriebenen Testament verfügte die Erblasserin wie folgt:
"Mein letzter Wille
Hiermit widerrufe ich meine bisherigen testamentarischen Verfügungen u. bestimme folgendes als meinen letzten Willen.
Alleinige Vorerbin soll sein Frau Q, geb. 3.11.1919, wohnhaft in M, C T-Str.. Während der Vorerbschaft soll Frau Q bis zu ihrem Ableben sämtliche nach Kosten bzw. Steuern verbleibenden Ertragsüberschüsse erhalten. Frau Q soll berechtigt sein, auch über das Nachlassvermögen aus der Vorerbschaft nach ihrem freien Ermessen bei Bedarf zu verfügen.
Als Nacherben zu gleichen Teile bestimme ich
1. Meine Nichte B M3, geb. 13.4.1949 geb. N, wohnhaft I-Weg in ...1 P
und
2. meine Nichte M F, geb. 11.9.1946 geb. N, wohnhaft I2 in ...2 M2-H1.
Die Anordnung von Vermächtnissen behalte ich mir ausdrücklich vor.
Dies ist mein letzter Wille.
...3 M, den 31.5.1998
J H, geb. 10.5.25
(...)"
In notarieller Urkunde vom 7.2.2006 (UR-Nr..../... des Notars Dr. B in M) beantragte die Beteiligte zu 1), ihr einen Erbschein zu erteilen, der sie aufgrund des vorgenannten Testaments als befreite Vorerbin und die Beteiligten zu 2) und 3) mit dem Tode der Vorerbin als Nacherben zu gleichen Teilen ausweisen soll.
Dem traten die Beteiligten zu 2) und 3) mit der Begründung entgegen, dass sich dem Testament die Anordnung einer Befreiung der Vorerbin nicht entnehmen lasse. Vielmehr habe nach dem Willen der Erblasserin die Substanz des Nachlasses erhalten werden sollen. Die Anordnung, dass die Vorerbin über den Nachlass nach ihrem freien Ermessen bei Bedarf verfügen dürfe, sei so zu verstehen, dass die Vorerbin lediglich für den Not- oder Pflegefall von den gesetzlichen Beschränkungen befreit sein soll. Der Beteiligten zu 1), die selbst über eine respektable Rente verfüge, habe die Erblasserin auf diese Weise einen unbeschwerten Lebensabend ermöglichen wollen. Das Vermögen habe indes ungeschmälert im Familienbesitz verbleiben sollen.
Mit Eigenurkunde vom 4.5.2006 beantragte der Notar Dr. B, der Beteiligten zu 1) einen vorläufigen Erbschein zu erteilen, der sie als - nicht befreite - Vorerbin ausweist.
Das AG kündigte durch Beschluss vom 19.6.2006 die Erteilung eines Erbscheins an, der die Beteiligte zu 1) als Vorerbin und für den Not- und Pflegefall als befreite Vorerbin sowie die Beteiligten zu 2) und 3) als Nacherben zu gleichen Teilen mit dem Tode der Vorerbin ausweist. Hiergegen legte die Beteiligte zu 1) unter dem 6.7.2010 Beschwerde ein, mit der sie ihren Erbscheinsantrag vom 7.2.2006 weiter verfolgte.
Der Beschwerde half das AG durch Beschluss vom 10.7.2006 nicht ab. Das LG hörte die Beteiligten am 2.5.2007 persönlich an und erhob Beweis durch Vernehmung des früheren Steuerberaters der Erblasserin sowie des Ehemannes der Beteiligten zu 3). Im Anschluss an erfolglos gebliebene Vergleichsverhandlungen hörte das LG die Beteiligten am 9.12.2009 erneut an und unterbreitete einen gerichtlichen Vergleichsvorschlag. Nachdem eine Einigung der Verfahrensbeteiligten nicht erzielt werden konnte, wies das LG durch Beschluss vom 21.7.2010 die Beschwerde der Beteiligten zu 1) zurück. Gegen diese Entscheidung richtet sich nunmehr ihre weitere Beschwerde vom 24.8.2010.
Die Beteiligte zu 1) führt zur Begründung ihres Rechtsmittels aus, dass die Erblasserin mit ihrer testamentarischen Anordnung, über den Nachlass dürfe nach freiem Ermessen verfügt werden, eine Befreiung i.S.d. § 2136 BGB habe bestimmen wollen. Insoweit komme die Auslegungsregel des § 2137 Abs. 2 BGB zur Anwendung. Die Feststellungslast für einen den Worten "bei Bedarf" zu entnehmenden abweichenden Erblasserwille treffe daher die Beteiligten ...