Leitsatz (amtlich)
Zu den Voraussetzungen für ein Absehen von der Verhängung des Regelfahrverbotes
Verfahrensgang
AG Lübbecke (Aktenzeichen 9 OWi 72/11) |
Tenor
Das angefochtene Urteil wird im Rechtsfolgenausspruch mit den dazugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Lübbecke zurückverwiesen.
Gründe
I.
Das Amtsgericht hat den Betroffenen wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit zu einer Geldbuße von 480 € verurteilt. Nach den Feststellungen befuhr der Betroffene mit einem Pkw am 29. Oktober 2010 um 12.14 Uhr in Stemwede außerhalb der geschlossenen Ortschaft den Alten Postweg in Fahrtrichtung Espelkamp mit einer Geschwindigkeit von 120 km/h, obwohl an der Messstelle die zulässige Höchstgeschwindigkeit durch Vorschriftzeichen auf 70 km/h festgesetzt war.
Mit ihrer formell und materiell wirksam auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkten und mit der Rüge der Verletzung materiellen Rechts begründeten Rechtsbeschwerde, der die Generalstaatsanwaltschaft beigetreten ist, wendet sich die Staatsanwaltschaft dagegen, dass das Amtsgericht von der Verhängung eines Fahrverbotes abgesehen hat.
II.
Die nach § 79 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 OWiG statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde ist begründet. Die Rechtsfolgenentscheidung des Amtsgerichts hält sachlich-rechtlicher Überprüfung nicht stand.
1. Nach § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Satz 2 BKatV iVm Nr. 11.3.7 der Tabelle 1 zum Bußgeldkatalog kommt die Anordnung eines Fahrverbotes von einem Monat wegen grober Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers nach § 25 Abs. 1 Satz 1 StVG in der Regel in Betracht, wenn der Fahrzeugführer die zulässige Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 41 bis 50 km/h überschreitet. Die vorgenannten Regelungen der Bußgeldkatalog-Verordnung begründen auf der tatbestandlichen Ebene eine Vermutung dafür, dass der Verstoß eine grobe Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers im Sinne des § 25 Abs. 1 Satz 1 StVG darstellt (Deutscher in: Burhoff [Hrsg.], Handbuch für das straßenverkehrsrechtliche OWi-Verfahren, 2. Aufl. [2009], Rdnr. 1139), und indizieren auf der Rechtsfolgenseite des § 25 Abs. 1 Satz 1 StVG die Anordnung eines Fahrverbotes als erforderliche und angemessene Sanktion für den Verstoß (Deutscher, a.a.O., Rdnr. 1140).
2. Die Ausführungen des Amtsgerichts vermögen ein Absehen von der Verhängung eines Fahrverbotes nicht zu rechtfertigen.
Nach den Feststellungen des Amtsgerichts ist der Betroffene verheiratet sowie Vater eines Kindes. Zur Begründung der Entscheidung, von der Verhängung eines Fahrverbotes abzusehen, hat das Amtsgericht ausgeführt, ein solches Verbot sei für den Betroffenen mit unverhältnismäßigen Folgen verbunden. Als Verkaufsleiter betreue der Betroffene sechs Filialen der Supermarktkette M2 im Raum P, N, C und W. Er suche im Umkreis von 50 bis 60 km etwa zwei bis vier Filialen pro Tag auf. Daher sei der Betroffene beruflich auf seine Fahrerlaubnis angewiesen. Es bestehe eine drohende Existenzgefährdung. Der Zeuge X, Prokurist der Firma M2, habe bekundet, dass er eine Gefahr für den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses mit dem Betroffenen sehe, wenn dieser unmittelbar nach Rechtskraft der Bußgeldentscheidung seinen Führerschein abgeben müsse. Eine Vertretungsmöglichkeit bestehe nicht. Im Falle einer Abgabefrist von vier Monaten würde er, X, sich nicht zwangsläufig trennen, sondern den Betroffenen auf dessen Urlaub von zwei Wochen verweisen. Für die restlichen zwei Wochen des Fahrverbotes müsse der Betroffene "sich organisieren". Nach der Auffassung des Amtsgerichts komme damit eine vollständige Verbüßung des Fahrverbotes in der Urlaubszeit von vornherein nicht in Betracht. Überdies könne der Betroffene im konkreten Einzelfall schon deshalb nicht auf die Abgabefrist und den Urlaub verwiesen werden, da er für den Monat September 2011 seinen ihm für das Jahr 2011 zustehenden Jahresurlaub bereits fest gebucht habe. Er habe eine Flugreise zum Preis von 2.000 € gebucht. Der Preis verfalle im Falle der Stornierung der Reise ersatzlos. Der Betroffene habe bekundet, er werde im Falle der Verhängung eines Fahrverbotes die Reise absagen und das Fahrverbot in seiner Urlaubszeit "ableisten". Dem Betroffenen entstehe mithin ein finanzieller Schaden von 2.000 €, wenn er das Fahrverbot im Urlaub "ableiste". Tue er dies nicht, sei nach der Aussage des Prokuristen X der Arbeitsplatz in Gefahr. Dem Betroffenen könne überdies aus wirtschaftlichen Gründen die Einstellung eines Fahrers nicht zugemutet werden. Er verdiene ca. 3.000 € brutto im Monat. Hiervon seien ca. 1.000 € Miete, 100 € Notebook-Miete, 150 € für Versicherungen, 100 € für eine Tagesmutter sowie allgemeine Lebenshaltungskosten abzuziehen.
3. Die Vermutungswirkung des § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BKatV für das Vorliegen einer groben Pflichtverletzung im Sinne des § 25 ...