Entscheidungsstichwort (Thema)
Lebensversicherung: § 5a VVG a.F., "ewiges Widerrufsrecht", Europarecht
Leitsatz (amtlich)
Bei der Frage nach einem - so genannten - ewigen Widerspruchsrecht ist die neue Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaft zu berücksichtigen (insbesondere EuGH, Urteil vom 19.12.2019 - C-355/18 bis C-357/18 u.a. VersR 2020, 341, juris Rn. 78 ff.). Diese betrachtet Fehler der Widerspruchsbelehrung differenziert. Ist (trotz eines Fehlers) die Möglichkeit des Versicherungsnehmers, das Widerspruchsrecht auszuüben, nicht wesentlich beeinträchtigt, ist ein ewiges Widerspruchsrecht europarechtlich "unverhältnismäßig" (EuGH, ebd., Rn. 79).
In einem solchen Fall (so auch hier) ist - jedenfalls im Ergebnis - auch nach deutschem Recht ein "ewiges Widerspruchsrecht" zu verneinen. (Fortführung zu OLG Hamm, Hinweisbeschluss vom 05.08.2020 - 20 U 88/20 .)
Verfahrensgang
LG Essen (Aktenzeichen 18 O 72/20) |
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das am 24.06.2020 verkündete Urteil der 18. Zivilkammer des Landgerichts Essen wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.
Das angefochtene Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
Der Streitwert für die Berufungsinstanz wird auf 17.245,87 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Die Parteien streiten um die Rückabwicklung von zwei Lebensversicherungsverträgen nach jeweils vom Kläger erklärtem Widerspruch.
Der Kläger schloss mit Versicherungsbeginn zum 01.12.2004 mit der Beklagten zwei Verträge über fondsgebundene Lebensversicherungen. Der Vertragsschluss erfolgte jeweils im sogenannten Policenmodell. In den Policenbegleitschreiben vom 03.01.2005 heißt es auszugsweise (Fettdruck auch im Original):
"Sehr geehrter Herr XX,
[...]
Heute erhalten Sie von uns alle wichtigen Unterlagen zu Ihrer neuen Versicherung.
Der Versicherungsschein ist für Sie das Dokument, das Ihnen - gemeinsam mit den in den Anlagen aufgeführten Versicherungsbedingungen und den übrigen Verbraucherinformation - den Versicherungsschutz nennt.
[...]
Sie können dem Versicherungsvertrag innerhalb von 30 Tagen ab Zugang des Versicherungsscheins einschließlich Anlagen schriftlich widersprechen. Eine Erklärung in Textform, z.B. per Fax oder eMail mit Angabe Ihres Namens, reicht aus. Zur Wahrung der Frist genügt die rechtzeitige Absendung des Widerspruchs.
[...]"
Wegen der Einzelheiten, auch wegen der genauen optischen Gestaltung der Schreiben, wird verwiesen auf die Anlagen K1 und K2 zur Klageschrift (elektronisch im "Anlagenband I. Instanz Kl").
Zusammen mit den Policenbegleitschreiben wurden dem Kläger jeweils die Allgemeinen Versicherungsbedingungen, die Verbraucherinformation und auch alle weiteren in den Versicherungsscheinen (Anl. BLD 1, Bl. 28 ff. und Bl. 58 ff. des Anlagenbandes I. Instanz Bekl.) aufgezählten Unterlagen übersandt.
Gegen Ende des Jahres 2018 kündigte der Kläger beide Verträge, die daraufhin abgewickelt wurden. An den Kläger wurde aus dem Vertrag mit der Endnummer "-002" ein Rückkaufswert in Höhe von 33.032,64 EUR und aus dem Vertrag mit der Endnummer "-003" ein solcher in Höhe von 43.484,88 EUR ausgezahlt.
Mit Schreiben vom 19.08.2019 erklärte der Kläger hinsichtlich beider Verträge den Widerspruch. Er gab zwei versicherungsmathematische Gutachten in Auftrag, um die Höhe der vermeintlichen Rückabwicklungsansprüche berechnen zu lassen. Für die Gutachten wurden ihm jeweils 1.618,40 EUR in Rechnung gestellt. Die Gutachten vom 02.09.2019 bezifferten den Rückzahlungsanspruch des Klägers hinsichtlich des Vertrages mit der Endnummer "-002" auf 7.398,12 EUR und hinsichtlich des Vertrages mit der Endnummer "-003" auf 9.847,75 EUR. Wegen der Einzelheiten wird verwiesen auf die als Anlagen K5 und K6 zur Klageschrift eingereichten Gutachten (elektronisch im Anlagenband I. Instanz Kl).
Die Beklagte lehnte eine Rückabwicklung hinsichtlich beider Verträge ab.
Mit seiner Klage hat der Kläger die Zahlung der in den Gutachten ermittelten Beträge, die Freistellung von den für die Gutachten zu zahlenden Kosten und den Ersatz vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten begehrt. Er hat die Ansicht vertreten, die Widerspruchsbelehrungen in den Policenbegleitschreiben seien unwirksam. Sie seien schon nicht ausreichend drucktechnisch hervorgehoben. Ferner seien sie hinsichtlich der einzuhaltenden Form fehlerhaft und schließlich hinsichtlich der fristauslösenden Unterlagen zu ungenau.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Belehrungen genügten den sich aus § 5a VVG a.F. ergebenden Anforderungen. Im Übrigen stehe den geltend gemachten Ansprüchen aber auch der Einwand der Verwirkung entgegen.
Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes in erster Instanz, der Anträge, des Tenors und der Begründung des Urteils wird auf dieses Bezug genommen (Bl. 133 ff. der elektronischen Gerichtsakte erster Instanz, im Folgenden: eGA-I und für die zweite Instanz eGA-II).
Mit der Berufung verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter. Er meint weiterhin, dass die ihm jeweils erteilten...