Leitsatz (amtlich)
Das Verfahren über den Erlass eines Arrests oder einer einstweiligen Verfügung ist grundsätzlich ein Anwaltsprozess, auch wenn die Antragstellung vom Anwaltszwang befreit ist. Die Einlegung einer sofortigen Beschwerde gegen eine im Beschlusswege getroffene Entscheidung unterliegt deshalb dem Anwaltszwang.
Normenkette
ZPO § 78 Abs. 1, 55, § 569 Abs. 3 Nr. 1, § 920 Abs. 3, § 936
Verfahrensgang
LG Münster (Beschluss vom 08.06.2007; Aktenzeichen 10 O 208/07) |
Tenor
Die sofortige Beschwerde des Antragstellers vom 26.6.2007 gegen den seinen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückweisenden Beschluss des LG Münster vom 8.6.2007 wird verworfen.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens nach einem Streitwert von 10.000 EUR.
Gründe
Die vom Antragsteller selbst eingelegte sofortige Beschwerde war wegen fehlender Postulationsfähigkeit gem. § 572 Abs. 2 S. 2 ZPO als unzulässig zu verwerfen.
Der Antragsteller ist nicht postulationsfähig, weil sich die Parteien gem. § 78 Abs. 1 ZPO vor den OLG durch einen Rechtsanwalt vertreten lassen müssen (Anwaltsprozess). Dies hat der Antragsteller nicht beachtet.
Der Ausnahmetatbestand nach § 78 Abs. 5 ZPO greift hier nicht ein. Der Anwaltszwang gilt danach nicht für Prozesshandlungen, die vor dem Urkundsbeamten der Geschäftsstelle vorgenommen werden können. Zu diesen Handlungen gehört gem. § 569 Abs. 3 Nr. 1 ZPO u.a. die Einlegung einer sofortigen Beschwerde, wenn der Rechtsstreit im ersten Rechtszug nicht als Anwaltsprozess zu führen ist oder war. Diese Voraussetzung ist im vorliegenden Fall nicht erfüllt.
Allerdings kann der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung im ersten Rechtszug beim LG gem. §§ 936, 920 Abs. 3 i.V.m. § 78 Abs. 5 ZPO auch ohne Vertretung durch einen Rechtsanwalt wirksam erklärt werden. Soweit das LG über den Antrag - wie hier - im Beschlussverfahren ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§§ 937 Abs. 2, 936, 922 Abs. 1 Satz 1 2. Fall ZPO), kann das Verfahren dann in erster Instanz zulässigerweise ohne anwaltliche Beteiligung abgeschlossen werden.
Aus diesem Grund wird in Rechtsprechung und Schrifttum zum Teil die Ansicht vertreten, die Befreiung vom Anwaltszwang nach § 569 Abs. 3 Nr. 1 ZPO i.V.m. § 78 Abs. 5 ZPO finde auch für die Beschwerde gegen die Ablehnung einer einstweiligen Verfügung durch das LG im Beschlussverfahren Anwendung (so etwa: OLG München BauR 1995, 875; OLG Karlsruhe GRUR 1993, 697; KG NJW-RR 1992, 576; OLG Köln NJW-RR 1988, 254; OLG Frankfurt (6. ZS), NJW-RR 1987, 1257; OLG Düsseldorf (5. ZS), FamRZ 1987, 611; Zöller/Vollkommer, 26. Aufl., § 922 ZPO Rz. 13; sämtlich mit weiteren Nachweisen).
Nach anderer Auffassung ändert demgegenüber die nur für den Arrest- oder Verfügungsantrag als einzelne Prozesshandlung geltende Befreiung vom Anwaltszwang gem. §§ 936, 920 Abs. 3 ZPO nichts daran, dass das Verfahren über den Erlass eines Arrestes oder einer einstweiligen Verfügung, wenn es vor dem LG anhängig sei, gem. § 78 Abs. 1 ZPO grundsätzlich ein Anwaltsprozess sei und deshalb von § 569 Abs. 3 Nr. 1 ZPO nicht erfasst werde (so etwa: OLG Saarbrücken, NJW-RR 1998, 611; OLG Frankfurt (17. ZS), MDR 1983, 233; OLG Hamm (6. ZS), NJW 1982, 1711, OLG Düsseldorf (9. ZS), OLGZ 1983, 358; Zöller/Gummer, 26. Aufl., § 569 Rz. 14; Schuschke/Walker, Vollstreckung und vorläufiger Rechtsschutz, Bd. II, 3. Aufl., § 569 ZPO Rz. 20; Bergerfurth NJW 1981, 353).
Der Senat folgt in Fortsetzung seiner bisherigen Rechtsprechung (vgl. Beschl. v. 29.4.1996 - 8 W 8/96, NJW-RR 1997, 763) aus folgenden Gründen der letzteren Auffassung:
Der Begriff des Anwaltsprozesses ist in § 78 Abs. 1 ZPO gesetzlich definiert. Er umfasst danach alle Verfahren vor den LG und den OLG. Dieser Charakter des Verfahrens vor den LG und den OLG als Anwaltsprozess ändert sich nicht dadurch, dass für einzelne Prozesshandlungen, die in den Verfahrensablauf eingebettet sind, Ausnahmen vom Anwaltszwang vorgesehen sind. Die auf einzelne Prozesshandlungen beschränkte Befreiung vom Anwaltszwang verwandelt den Rechtsstreit nicht in einen Parteiprozess. Das muss auch dann gelten, wenn die Freistellung vom Anwaltszwang die das Verfahren einleitende Erklärung betrifft und das Verfahren, wenn das Gericht von einer mündlichen Verhandlung absieht, im schriftlichen Verfahren beendet wird, ohne dass auf Seiten der antragstellenden Partei ein Anwalt beteiligt werden müsste. Ob das Gericht eine mündliche Verhandlung anberaumt oder nicht, ist nämlich von Umständen abhängig, die nicht notwendig im inneren Zusammenhang mit der Frage des Anwaltszwanges stehen.
Auch der Sinn und Zweck der Regelung in §§ 569 Abs. 3 Nr. 1, 78 ZPO spricht für das dargelegte Verständnis dieser Vorschriften. Der Anwaltszwang dient einer geordneten Rechtspflege und der Sorge für eine interessengerechte Geltendmachung der Parteibelange. Beide Gesichtspunkte kommen auch in der vorliegenden Konstellation zum Tragen und sprechen für die Geltung des Anwaltszwanges im vorliegenden Fall.
Dieses Verständnis ...