Entscheidungsstichwort (Thema)
Drohung mit einem empfindlichen Übel. üble Nachrede. Tätigkeit im Gemeinderat. Herstellung einer Nähe zu sexuellem Kindesmissbrauchs im Rahmen politischer Tätigkeit
Leitsatz (amtlich)
1. Eine Drohung mit einem empfindlichen Übel i.S.v. § 240 StGB kann nicht nur in klaren und eindeutigen Worten, sondern auch in allgemeinen Redensarten, in unbestimmten Andeutungen in versteckter Form und sogar in schlüssigen Handlungen enthalten sein, etwa wenn ein Stadtratsmitglied damit droht, eine Anfrage mit dem Inhalt, ob die Beendigung einer früheren Tätigkeit eines anderen Ratsmitglieds im Zusammenhang mit sexuellem Kindesmissbrauch stand, obwohl für die Herstellung eines solchen Zusammenhangs keinerlei Anhaltspunkte bestanden.
2. Zur Auslegung von (politischen) Äußerungen bei der Prüfung der Strafbarkeit nach § 186 StGB.
Normenkette
StGB §§ 240, 186; GG Art. 5
Verfahrensgang
LG Essen (Aktenzeichen 28 Ns 93/21) |
Tenor
Das angefochtene Urteil wird
- im Schuldspruch dahingehend abgeändert, dass die tateinheitliche Verurteilung wegen übler Nachrede entfällt und
- im Strafausspruch mit den zugrundeliegenden Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Revisionsverfahrens - an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Essen zurückverwiesen.
Die weitergehende Revision des Angeklagten wird verworfen.
Gründe
I.
Das Amtsgericht Marl hat den Angeklagten am 20.08.2021 wegen versuchter Nötigung in Tateinheit mit übler Nachrede zu einer Geldstrafe von 50 Tagessätzen zu je 50 € verurteilt. Gegen dieses Urteil haben sowohl der Angeklagte als auch die Staatsanwaltschaft, letztere beschränkt auf das Strafmaß, Berufung eingelegt. Mit Urteil vom 12.07.2022 hat das Landgericht Essen auf die Berufung der Staatsanwaltschaft das angefochtene Urteil im Rechtsfolgenausspruch dahingehend abgeändert, dass der Angeklagte zu einer Geldstrafe von 70 Tagessätzen zu je 70 € verurteilt wird. Die Berufung des Angeklagten hat es verworfen.
Nach den tatsächlichen Feststellungen des Berufungsurteils ist der Angeklagte Fraktionsvorsitzender der Partei01 (Partei01) im Rat der Stadt A. Der Nebenkläger ist Fraktionsvorsitzender der Partei02 und seit November 2018 Leiter des Jugendamts der Stadt B. Zuvor war er Geschäftsführer von 270 Kindertagesstätten des Bistums C.
Nachdem der Ber Ortsverband der Partei03 auf seiner Homepage einen Artikel veröffentlich hatte, der sich unter anderem kritisch mit der Beendigung des vorangegangenen Arbeitsverhältnisses des Nebenklägers beim Bistum C auseinandergesetzt hatte, erwog die Ber Partei01 im Rat eine Anfrage zu stellen, ob der Nebenkläger in einem Kindergarten gearbeitet habe, ob es richtig sei, dass er entlassen worden sei und ob die Entlassung in direktem oder indirektem Zusammenhang mit Kindesmissbrauch gestanden habe. Auf Anraten des Angeklagten stellte die Partei01 B die Anfrage letztlich nicht. Seitens des Bistums waren keine Vorwürfe gegen den Nebenkläger im Zusammenhang mit sexuellen Missbrauch erhoben worden.
Am 15.06.2020 stellten der Fraktionsvorsitzende der Partei04 Fraktion und der Nebenkläger als Fraktionsvorsitzender der Partei02 Fraktion eine Anfrage an den Bürgermeister der Stadt A mit folgendem Inhalt:
"1. Wie viele Ratssitzungen haben in den Jahren 2018 und 2019 stattgefunden?
2. Welches Ratsmitglied hat in dieser Zeit am häufigsten gefehlt (unter Angabe der Fraktionszugehörigkeit)?
3. Welches Ratsmitglied hat in dieser Zeit die Ratssitzungen am häufigsten früher verlassen (unter Angabe der Häufigkeit und Fraktionszugehörigkeit)?
4. Welche drei Ratsmitglieder haben in dieser Zeit am häufigsten gefehlt und sind eher gegangen (Angabe der Häufigkeit und der Fraktionszugehörigkeit)?
5. Welche Verdienstausfälle wurden in diesen Jahren an die Fraktionen gezahlt?
Um zu verhindern, dass ein Mitglied seiner Fraktion und zwei Mitglieder einer anderen kleinen Fraktion benannt werden, entschloss sich der Anklagte, den Versuch zu unternehmen, eine Rücknahme der Anfrage zu erreichen. Auf der nichtöffentlichen Sitzung des Ältestenrats am 22.06.2020 hielt er zu diesem Zweck eine Rede, die auszugsweise wie folgt lautete:
"... ich möchte hiermit nochmal in aller Dringlichkeit an die Partei04 und an die Partei02 appellieren, diese Anfrage zurückzuziehen. Das ist erstens absolut unterstes Niveau und stellt eine neue Eskalationsstufe dar. Bisher läuft der Wahlkampf ja eigentlich recht fair, was sich aber auch schnell ändern kann. Wir als Partei01 verzichten ja auf solche Sachen, wohlgemerkt noch.
Ich darf Ihnen da mal ein Beispiel geben. Wie sie wissen sind wir auch im Rat der Stadt B vertreten. Dort wollte die Partei01 eine Anfrage zu dem neuen Jugendamtsleiter [dem Nebenkläger] stellen und zwar wollte man wissen, ob es richtig ist, dass [der Nebenkläger] vorher in einem Kindergarten gearbeitet hat, ob es richtig ist, dass [der Nebenkläger] entlassen wurde und ob die Entlassung in direktem oder indirektem Zusammenha...