Entscheidungsstichwort (Thema)

relative Fahruntüchtigkeit. Indizien. Beweisanzeichen. Verhaltensweisen. Alkoholbedingtheit

 

Leitsatz (amtlich)

Voraussetzung für den Schluss von bestimmten festgestellten Verhaltensweisen auf eine alkoholbedingte Fahrunsicherheit im Rahmen der Beurteilung einer (relativen) Fahruntüchtigkeit nach § 316 StGB ist die sichere Feststellung, dass das Verhalten durch den Alkoholkonsum zumindest mitverursacht ist. Dabei kommt es nicht darauf an, wie sich ein durchschnittlicher nüchterner Fahrer, sondern wie sich gerade der Täter in nüchternem Zustand verhalten hätte.

 

Normenkette

StGB § 316

 

Verfahrensgang

LG Essen (Entscheidung vom 26.10.2021; Aktenzeichen 24 Ns 51/21)

 

Tenor

Das angefochtene Urteil wird aufgehoben, die ihm zugrunde liegenden Feststellungen jedoch nur insoweit sie die relative Fahruntüchtigkeit betreffen.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Revisionsverfahrens - an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Essen zurückverwiesen.

Die weitergehende Revision wird verworfen.

 

Gründe

I.

Das Amtsgericht Bottrop hat den Angeklagten am 16.03.2021 wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr in Tateinheit mit Fahren ohne Fahrerlaubnis zu einer Geldstrafe von 85 Tagessätzen zu je 10,00 Euro verurteilt und die Verwaltungsbehörde angewiesen, ihm vor Ablauf einer Sperrfrist von 12 Monaten keine Fahrerlaubnis zu erteilen.

Die Berufung des Angeklagten hat das Landgericht Essen mit Urteil vom 26.10.2021 verworfen. Nach den durch das Landgericht getroffenen Feststellungen führte der Angeklagte am 00.07.2020 seinen Pkw, in dem seine Kinder saßen, auf der BAB (..), obwohl er infolge Alkoholkonsums fahruntüchtig war. Gegen 12.20 Uhr habe er sich auf dem Rastplatz A befunden. Da er das Fahrzeug ordnungswidrig abgestellt habe, sei er durch Polizeibeamte kontrolliert worden. Im Rahmen der Kontrolle habe er angegeben, keine Fahrerlaubnis zu besitzen und Alkohol konsumiert zu haben. Den Polizeibeamten sei im Rahmen der Kontrolle ein auffälliges Verhalten des Angeklagten aufgefallen. Der Angeklagte, der eine Sonnenbrille getragen habe, habe diese auf Aufforderung abgesetzt. Er habe glasige Augen gehabt. Im Verlauf der Kontrolle habe er die Brille immer wieder aufgesetzt. Der Angeklagte sei zudem nervös gewesen und habe Stimmungsschwankungen von redselig bis ruhig gehabt. Er habe wiederholende Fragen gestellt, seine Kinder immer wieder darauf angesprochen, ob diese essen oder trinken wollten und habe in Anwesenheit seiner Kinder im Auto geraucht. Die um 13:20 Uhr entnommene Blutprobe habe eine Blutalkoholkonzentration von 1,09 Promille ergeben. Da die Kammer den Zeitpunkt des Trinkendes nicht habe feststellen können, hat sie diesen Wert ihren Feststellungen zu Grunde gelegt und ist von einer relativen Fahruntüchtigkeit des Angeklagten ausgegangen.

Der Angeklagte hat mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 29.10.2021, der am 04.11.2021 beim Landgericht eingegangen ist, Revision gegen das Urteil eingelegt und diese, nach Zustellung des Urteils am 10.12.2021, mit am 28.12.2021 eingegangenem Schriftsatz mit der Rüge der Verletzung materiellen Rechts begründet.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat die Verwerfung des Rechtsmittels gem. § 349 Abs. 2 StPO beantragt. Der Angeklagte bzw. sein Verteidiger hatten Gelegenheit zur ergänzenden Stellungnahme.

II.

Die zulässige Revision des Angeklagten hat auf die Sachrüge hin in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg und führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils, einschließlich der Feststellungen, soweit sie die relative Fahruntüchtigkeit betreffen, und zur Zurückverweisung der Sache an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Essen (§§ 349 Abs. 4, 354 Abs. 2 StPO).

Die Beweiswürdigung des Urteils bezüglich der Fahruntüchtigkeit des Angeklagten ist lückenhaft und trägt ihre Feststellung nicht.

Ein Kraftfahrer ist fahruntüchtig, wenn seine Gesamtleistungsfähigkeit, namentlich infolge Enthemmung sowie geistig-seelischer und körperlicher Leistungsausfälle so weit herabgesetzt ist, dass er nicht mehr fähig ist, sein Fahrzeug im Straßenverkehr eine längere Strecke, und zwar auch bei plötzlichem Eintritt schwieriger Verkehrslagen, sicher zu steuern (vgl. BGH, Urteil vom 20. 3. 1959 - 4 StR 306/58 -, beck online; BayObLG, Beschluss vom 24.05.1989 - RReg 2 St 117/89 -, juris).

Die festgestellte Blutalkoholkonzentration begründet, wovon auch das Landgericht zur Recht ausgegangen ist, vorliegend eine absolute Fahruntüchtigkeit nicht. Die Grenze dafür beträgt für das Führen von Kfz 1,1 Promille (vgl. BGH, Beschluss vom 28.06.1990 - 4 StR 297/90 -, beck online).

Relative Fahruntüchtigkeit ist gegeben, wenn die Blutalkoholkonzentration des Angeklagten zur Tatzeit zwar unterhalb des Grenzwerts absoluter Fahruntüchtigkeit liegt, aber aufgrund zusätzlicher Tatsachen der Nachweis alkoholbedingter Fahruntüchtigkeit geführt werden kann. Die relative Fahruntüchtigkeit unterscheidet sich dabei von der absolute...

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