Leitsatz (amtlich)
1. Die Zurechnung eines psychischen Folgeschadens setzt voraus, dass eine mehr als nur geringfügige Primärverletzung feststeht, es sei denn, die Verletzung trifft gerade speziell die Schadensanlage des Verletzten; Maßstab für die Beurteilung der Geringfügigkeit sind die Grundsätze, welche hinsichtlich der Versagung eines Schmerzensgeldes bei Bagatellverletzungen Anwendung findet (im Anschluss an BGH v. 30.4.1996 – VI ZR 55/95, MDR 1996, 886 = NJW 1996, 2425; v. 11.11.1997 – VI ZR 376/96, MDR 1998, 157 = NJW 1998, 810; NJW 2000, 862).
2. Einem Unfall sind psychisch vermittelte gesundheitliche Beeinträchtigungen dann nicht mehr zurechenbar, wenn bereits der Unfall selbst als Bagatelle einzustufen ist, weil er nach seinem Ablauf und Auswirkungen keinen verständlichen Anlass für psychische Reaktionen bietet, die über das Maß dessen hinausgehen, was im Alltagsleben als typische und häufig auch aus anderen Gründen entstehende Beeinträchtigungen des Körpers oder des seelischen Wohlbefindens hinzunehmen ist.
Normenkette
BGB §§ 823, 847
Verfahrensgang
LG Münster (Aktenzeichen 14 O 38/99) |
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das am 18.5.2000 verkündete Urteil der 14. Zivilkammer des LG Münster wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Es beschwert die Klägerin i.H.v. 15.048 DM.
Von der Darstellung des Tatbestandes wird gem. § 543 Abs. 1 ZPO abgesehen.
Gründe
Die zulässige Berufung ist unbegründet.
Die Klägerin hat nicht bewiesen, dass die von ihr geltend gemachten gesundheitlichen Beeinträchtigungen durch den Verkehrsunfall vom … 1998 in R. verursacht wurden.
I. Der Klägerin stehen gegen die Beklagten als Gesamtschuldner keine Ansprüche auf Schmerzensgeld und materiellen Schadenersatz aus eigenem und abgetretenem Recht gem. den §§ 847 Abs. 1, 823 Abs. 1, 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 1 Abs. 2, 9 Abs. 5 StVO; 7 Abs. 1, 18 Abs. 1 StVG; 249 f. BGB, 3 Nr. 1, 2 PflVG zu.
1. Die Beklagten haften – was zwischen den Parteien außer Streit steht – dem Grunde nach im vollen Umfang für unfallursächliche Schäden. Denn die Beklagte zu 1) verursachte allein schuldhaft den Verkehrsunfall, indem sie unter Missachtung der Sorgfaltsanforderungen des § 9 Abs. 5 StVO rückwärts aus einer Parklücke fuhr und dabei mit dem von der Klägerin geführten Pkw kollidierte.
2. Streit besteht zwischen den Parteien bezüglich der Unfallursächlichkeit der von der Klägerin geltend gemachten gesundheitlichen Beeinträchtigungen.
Bezüglich der Frage, ob ein Unfall zu einer Verletzung geführt hat, obliegt dem Anspruchsteller der Vollbeweis gem. § 286 ZPO (BGH v. 24.6.1986 – VI ZR 21/85, MDR 1987, 43 = VersR 1986, 1121; OLG Hamm VersR 1999, 990). Nur wenn der erste Verletzungserfolg feststeht, kommt für die Weiterentwicklung des Schadens dem Geschädigten die Beweiserleichterung des § 287 Abs. 1 ZPO zugute, wobei hier eine überwiegende Wahrscheinlichkeit genügt (vgl. etwa OLG Hamm OLGReport Hamm 1995, 258). Im Rahmen des § 286 ZPO ist für die Überzeugungsbildung des Gerichts zwar keine mathematisch oder medizinisch notwendige Sicherheit erforderlich, wohl aber ein so hoher Grad von Wahrscheinlichkeit, dass sie vernünftigen Zweifeln Schweigen gebietet, ohne diese völlig auszuschließen (BGHZ 53, 245 [256] = MDR 1970, 491; v. 26.10.1993 – VI ZR 155/92, MDR 1994, 303 = NJW 1994, 801 [802]; Thomas/Putzo, 21. Aufl., § 286 ZPO Rz. 2; Zöller/Greger, 21. Aufl., § 286 ZPO Rz. 19).
a) Die Klägerin hat nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht bewiesen, dass der Unfall zu einer Verletzung führte.
aa) Die Klägerin ist nach ihren eigenen Angaben weder mit dem Kopf noch der Schulter aufgrund des Unfalls im Fahrzeuginneren angestoßen.
bb) Im unfallanalytisch-technischen Teil der Begutachtung hat der Sachverständige Dipl.-Ing. S. umfassend, nachvollziehbar und überzeugend die unfallbedingten Krafteinwirkungen dargestellt. Er hat auf der Grundlage der Lichtbilder über die Schäden an den unfallbeteiligten Kraftfahrzeugen unter Hinzuziehung von Vergleichsmaterial ausgeführt, dass die Kollisionsgeschwindigkeit des unfallgegnerischen VW Golf maximal 7 km/h betragen habe. Hieraus hat er unter Berücksichtigung der Fahrzeugmassen und der Art des Stoßimpulses eine höchst mögliche unfallbedingte Quergeschwindigkeitsänderung der Klägerin von nur 4,3 km/h errechnet. Der Sachverständige hat auf dieser Grundlage unter Einbeziehung der Körpergröße der Klägerin und der Karosseriestruktur des Pkw, in dem die Klägerin saß, weiterhin überzeugend ausgeführt, dass wegen der geringen unfallbedingten Krafteinwirkung eine Verletzung der Klägerin aus technischer Sicht nicht zu erklären sei.
cc) Der Senat hält auch das Gutachten der Sachverständigen Dr. M. für überzeugend.
Die Sachverständige hat unter Zugrundelegung des Gutachtens des Sachverständigen S. ihre Ausführungen auf breiter Tatsachengrundlage erstattet. Ihr lagen die Untersuchungsbefunde der behandelnden Ärzte vor. Sie hat eigene umfassende Untersuchungen durchgeführt. ...