Leitsatz (amtlich)
Hat jemand schuldhaft die Körperverletzung eines anderen verursacht, so haftet er für alle daraus resultierenden organischen und psychischen Folgen, unabhängig davon, ob die psychischen Folgen eine organische Ursache haben. Es genügt die hinreichende Gewissheit, dass die psychischen Schäden ohne den Unfall nicht aufgetreten wären.
Der Schädiger haftet auch für seelisch bedingte Folgeschäden, die auf einer psychischen Prädisposition oder einer neurotischen Fehlverarbeitung beruhen. Es reicht aus, da der Unfall Auslöser für die psychischen Folgereaktionen war, auch wenn die pathologische Persönlichkeitsstruktur des Geschädigten bereits vor dem Unfall angelegt war.
Verfahrensgang
LG Saarbrücken (Urteil vom 21.10.2004; Aktenzeichen 10 O 416/99) |
Tenor
1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des LG Saarbrücken vom 21.10.2004 (10 O 416/99) wie folgt abgeändert:
a) Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger ein weiteres Schmerzensgeld i.H.v. 23.210,48 EUR zzgl. 4 % Zinsen seit dem 10.6.1999 zu zahlen.
b) Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger 6.611,20 EUR nebst 4 % Zinsen hieraus seit dem 12.12.1999 zu zahlen.
c) Es wird festgestellt, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, dem Kläger sämtliche weiteren materiellen und immateriellen Schäden, die aus dem Unfallereignis vom 30.1.1997 herrühren, zu ersetzen, soweit diese Ansprüche nicht von den Anträgen 1) und 2) erfasst und nicht auf Sozialleistungsträger übergegangen sind.
2. Die Beklagten tragen als Gesamtschuldner die Kosten des Berufungsverfahrens und 9/10 der Kosten des ersten Rechtszuges, die im Übrigen dem Kläger zur Last fallen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Schuldner kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung i.H.v. 120 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Gläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
4. Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird auf 45.821,68 EUR festgesetzt.
5. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Die Parteien streiten wegen eines Verkehrsunfalls, der sich am 30.1.1997 in R. ereignet hat.
Der Kläger war zum Unfallzeitpunkt Fahrer des unfallbeteiligten Pkws mit dem amtlichen Kennzeichen. Der Beklagte zu 1) war Fahrer des unfallbeteiligten Pkws mit dem amtlichen Kennzeichen, der zum Unfallzeitpunkt bei der Beklagten zu 2) haftpflichtversichert war.
Der Unfall ereignete sich wie folgt: In Höhe der Straße in R. fuhr der Beklagte zu 1) infolge von Unachtsamkeit auf das stehende klägerische Fahrzeug auf. Durch den Aufprall wurde das klägerische Fahrzeug auf das vor ihm stehende Fahrzeug der Zeugin S.-H. aufgeschoben.
Der Unfallhergang, das Alleinverschulden des Beklagten zu 1) und die Verantwortlichkeit der Beklagten für alle dem Kläger aus dem Unfallereignis entstandenen Schäden sind zwischen den Parteien unstreitig. In zweiter Instanz ist nicht mehr umstritten, dass der Kläger 1997 und 1998 einen Verdienstausfall von 12.930,38 DM (6.611,20 EUR) hatte. Der Streit der Parteien dreht sich im Wesentlichen um die Höhe des eingeklagten Schmerzensgeldes sowie darum, ob und welche Gesundheitsbeschädigungen der Kläger durch die streitgegenständliche Kollision erlitten hat. Die Beklagte zu 2) hat vorprozessual an den Kläger ein Schmerzensgeld i.H.v. 3.500 DM gezahlt.
Der Kläger hat behauptet, die Aufprallgeschwindigkeit des Beklagtenfahrzeugs habe bei 15 km/h gelegen und die dadurch bedingte Beschleunigung bei 10-15 km/h. Durch den Unfall habe er ein HWS-Schleudertrauma, einen Gehörschaden sowie eine bleibende psychische Beeinträchtigung erlitten. Aufgrund dessen sei er unfallbedingt dauerhaft erwerbsunfähig. Die Erwerbsunfähigkeit sei als konversionsneurotische Fehlverarbeitung des Unfallereignisses anzusehen. Er leide nach wie vor unter den folgenden unfallbedingten Symptomen:
- ständige Kopfschmerzen
- Schmerzen im Nackenbereich mit einer Einschränkung der Drehbeweglichkeit des Kopfes
- ausstrahlende Schmerzen in beiden Armen
- Gefühlsstörungen an den Handkanten
- Schwindelgefühlen
- Verminderung der Hörfähigkeit beidseits
- chronischer Tinnitus
- Sprachstörungen
- Konzentrationsschwierigkeiten
- Schluckstörungen
- Niedergeschlagenheit
- Müdigkeit
- Erschöpfung
- Herzbeklemmungen
- Lichtempfindlichkeit
- Brechreiz
- chronifiziertes Schmerzsyndrom Stadium III
Der Kläger hat die Ansicht vertreten, zum Ausgleich der unfallbedingten gesundheitlichen Beeinträchtigungen sei ein Schmerzensgeld i.H.v. 50.000 DM erforderlich. Außerdem seien die Beklagten auch zum Ersatz seines Verdienstausfallschadens verpflichtet.
Der Kläger hat beantragt,
1. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an den Kläger ein angemessenes Schmerzensgeld, welches nicht unter 50.000 DM liegen sollte, nebst 4 % Zinsen seit dem 10.6.1999 zu zahlen,
2. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an den Kläger einen Betrag von 23.615,79 DM nebst 4 % Zinsen hieraus seit Rechtshängigkeit als Verd...