Leitsatz (amtlich)
Der Umstand, dass ein Überholvorgang nur unter Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit möglich ist, begründet kein sog. faktisches Überholverbot.
Normenkette
StVO § 5
Verfahrensgang
LG Hagen (Urteil vom 18.06.2013; Aktenzeichen 4 O 267/10) |
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das am 18.6.2013 verkündete Urteil des Einzelrichters der 4. Zivilkammer des LG Hagen abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Die Beklagten werden verurteilt, als Gesamtschuldner an den Kläger ein Schmerzensgeld i.H.v. 8.000 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 5.8.2010 zu zahlen.
Die Beklagten werden weiterhin verurteilt, als Gesamtschuldner an den Kläger 11.438,08 EUR nebst Zinsen i.H.v. 4 % ab dem 8.5.2010 bis zum 4.8.2010 aus einem Betrag von 9.465,63 EUR und ab dem 5.8.2010 Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus einem Betrag von 11.438,08 EUR zu zahlen.
Es wird festgestellt, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, dem Kläger sämtliche zukünftigen materiellen Schäden und sämtliche weiteren, derzeit nicht vorhersehbaren immateriellen Schäden aus dem Verkehrsunfall vom 8.5.2010, T, I Straße, zu ersetzen, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind oder übergehen werden.
Die Beklagten werden weiter verurteilt, als Gesamtschuldner den Kläger von vorgerichtlichen Rechtsanwaltsgebühren i.H.v. 1.023,16 EUR gegenüber Rechtsanwalt G freizustellen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die weiter gehende Berufung und die Anschlussberufung werden zurückgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits erster und zweiter Instanz tragen die Beklagten als Gesamtschuldner.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe
I. Von der Darstellung des Tatbestandes wird gem. §§ 540 Abs. 2, 313a Abs. 1 S. 1 ZPO, 26 Nr. 8 EGZPO abgesehen.
II. Die zulässige Berufung des Klägers hat in der Sache überwiegend Erfolg; die zulässige Anschlussberufung ist unbegründet, denn dem Kläger steht gegen die Beklagten gem. §§ 7, 17 StVG, bezüglich der Beklagten zu 2) i.V.m. § 115 VVG ein Anspruch auf Ausgleich seiner unfallbedingten materiellen und immateriellen Schäden im zuerkannten Umfang zu.
Der Unfall war zunächst, wie das LG zu Recht angenommen hat, für keine der Parteien unabwendbar i.S.v. § 17 Abs. 3 StVG. Unabwendbar ist ein Ereignis, das durch äußerste mögliche Sorgfalt nicht abgewendet werden kann. Abzustellen ist insoweit auf das Verhalten des sog. "Idealfahrers" (König in: Hentschel/König/Dauer, 41. Aufl., § 17 StVG Rz. 22).
Ein solcher Idealfahrer hätte weder - wie der Kläger - unter Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit überholt, noch - wie der Beklagte zu 1) - trotz Erkennbarkeit des überholenden Kraftrades den Abbiegevorgang fortgesetzt.
Die Verpflichtung zum Schadensersatz sowie deren Umfang hängen damit nach § 17 Abs. 1 und 2 StVG von den Umständen, insbesondere davon ab, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder dem anderen Teil verursacht worden ist. Die danach gebotene Abwägung der wechselseitigen Verursachungsbeiträge ist aufgrund aller festgestellten, d.h. unstreitigen, zugestandenen oder nach § 286 ZPO bewiesenen Umstände des Einzelfalls vorzunehmen, wenn sie sich auf den Unfall ausgewirkt haben; in erster Linie ist hierbei das Maß der Verursachung von Belang, in dem die Beteiligten zur Schadensentstehung beigetragen haben; das beiderseitige Verschulden ist nur ein Faktor der Abwägung (ständige Rechtsprechung, zuletzt BGH, NJW 2012, 1953BGH NJW 2012, 1953).
1. Die nach Maßgabe der vorstehenden Grundsätze durchgeführte Abwägung führt vorliegend zu einer Alleinverantwortlichkeit des Beklagten zu 1) in Bezug auf die Unfallverursachung.
Denn gegen den Beklagten zu 1) streitet der Beweis des ersten Anscheins im Hinblick auf einen Verstoß gegen § 10 StVO, der aufgrund des Ergebnisses der erstinstanzlichen Beweisaufnahme nicht entkräftet, sondern durch das Ergebnis des erstinstanzlich eingeholten Gutachtens des Sachverständigen L bestätigt wird:
Bei der Einfahrt vom Parkplatz auf die Straße hatte der Beklagte zu 1) die Gefährdung des Klägers als Teilnehmer des fließenden Verkehrs gem. § 10 StVO auszuschließen, wobei das Ausfahren erst endet, wenn sich der Einbiegende in zügiger Fahrt in den fließenden Verkehr eingeordnet hat (OLG Düsseldorf VersR 1981, 754 = VRS 60 [1981] 420 m.w.N.; OLG Köln VRS 109 [2006] 99 = OLGR 2006, 7 = DAR 2006, 27 = VerkMitt 2006, 18 Nr. 19; OLG Celle NZV 2006, 309; KG VRS 112 [2007] 332 [335] = NZV 2007, 359; Burmann: in Burmann/Heß/Jahnke/Janker, StVR, 22. Aufl. 2012, § 10 StVO Rz. 8).
Kommt es - wie vorliegend - in unmittelbarem zeitlichen und örtlichen Zusammenhang mit dem Ausfahren zu einer Kollision mit dem fließenden Verkehr, so spricht bereits der Beweis des ersten Anscheins für ein Verschulden des Ausfahrenden (OLG Hamm, VersR 1979, 266266; KG, NZV 2006, 369369; Burmann in: Burmann/Heß/Jahnke/Janker, StVR, 22. Aufl. 2012 § 10 StVO Rz. Rz. 8 m.w.N.).
Dieser gegen den Bekl...