Leitsatz (amtlich)
Sieht das Gericht Risiken als offenkundig an bzw. beurteilt es ohne Darlegung hinreichender eigener Sachkunde das Reitverhalten der Klägerin, ist dies verfahrensfehlerhaft, zumal beide Seiten, insbesondere auch die Klägerseite, sich für ihren Standpunkt jeweils auf die Einholung eines Sachverständigengutachtens berufen hatten; insoweit beruht das Urteil auf einem Verstoß gegen den Grundsatz der Gewährung rechtlichen Gehörs.
Normenkette
BGB §§ 833-834; ZPO § 538 Abs. 2 S. 1 Nr. 1
Verfahrensgang
LG Dortmund (Aktenzeichen 04 O 243/19) |
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin und die Berufung der Beklagten wird das am 18.12.2020 verkündete Urteil der Einzelrichterin der 4. Zivilkammer des Landgerichts Detmold einschließlich des zugrundeliegenden Verfahrens aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Berufungsverfahrens - an das Landgericht zurückverwiesen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe
I. 1. Wegen des erstinstanzlich vorgetragenen Sachverhalts und der erstinstanzlich gestellten Anträge wird auf den Tatbestand des landgerichtlichen Urteils verwiesen.
Das Landgericht hat die Parteien persönlich angehört (vgl. Bl. 104 ff. GA) und im Verhandlungstermin vom 06.11.2020 ein von der Klägerin auf ihrem Handy gezeigtes Video von dem Reitunfall in Augenschein genommen, welches bislang (entgegen der Ankündigung des Klägervertreters, Bl. 108 GA) nicht zu den Akten eingereicht worden ist.
Das Landgericht hat sodann mit dem angefochtenen Urteil - unter Abweisung der weitergehenden Klage - die Beklagte zur Zahlung eines Schmerzensgeldes von 2.400,- EUR und vorgerichtlicher Anwaltskosten von 218,72 EUR an die Klägerin verurteilt und dem Feststellungsantrag zu einer Quote von nur 20 % stattgegeben. Zur Begründung hat das Landgericht im Wesentlichen ausgeführt:
Die zulässige Klage sei lediglich im ausgeurteilten Umfang begründet und im Übrigen unbegründet.
Die Beklagte sei der Klägerin zunächst dem Grunde nach §§ 833 Satz 1, 249, 253, 254 BGB mit einer Haftungsquote von 20 % zum Ersatz allen materiellen und immateriellen Schadens aufgrund des streitgegenständlichen Reitunfalles verpflichtet.
Bei diesem Unfall, der zu Verletzungen der Klägerin geführt habe, habe sich die typische Tiergefahr des hier in Rede stehenden Pferdes "B" realisiert. Die Beklagte sei zur Unfallzeit Halterin des vorgenannten Pferdes gewesen; sie sei Eigentümerin des Pferdes gewesen und habe die Haltereigenschaft nicht etwa durch die Überlassung des Pferdes zwecks Erprobung durch die Schwester der Klägerin verloren. Die Klägerin als zur Unfallzeit auf dem Pferd befindliche Reiterin sei in den Schutzbereich der Tierhalterhaftung einbezogen. Die Tierhalterhaftung der Beklagten sei vorliegend nicht etwa unter dem Gesichtspunkt des Handelns auf eigene Gefahr vollständig ausgeschlossen, was nur in eng begrenzten, mit der Situation hier nicht vergleichbaren Ausnahmefällen in Betracht komme. Ein vertraglicher Haftungsausschluss sei ebenfalls nicht anzunehmen, vielmehr von der insoweit darlegungs- und beweispflichtigen Beklagten im Verhältnis zur Klägerin schon nicht dargelegt und im Übrigen insgesamt jedenfalls nicht unter Beweis gestellt worden. Auch ein konkludenter Haftungsausschluss sei hier - namentlich im Verhältnis zur an den vertraglichen Vereinbarungen überhaupt nicht beteiligt gewesenen Klägerin - nicht anzunehmen.
Allerdings müsse die Klägerin sich ein Mitverschulden von 80 % anrechnen lassen. Zum einen sei - dies sehe das Gericht als offenkundig und nicht beweisbedürftig an - von dem (ansonsten allerdings zuvor nicht auffällig gewordenen und als Reitpferd ausgebildeten) Pferd "B" aufgrund des ca. 1/2 Stunde zuvor erfolgten Abwurfs der Schwester sowie auch aufgrund des Fehlens eines Auges von vornherein eine erhöhte Tiergefahr mit erhöhtem Abwurfrisiko ausgegangen, weshalb eine gesteigerte Vorsicht geboten gewesen sei und die Klägerin nicht schon so kurze Zeit nach dem Vorfall mit der Schwester das Pferd überhaupt hätte besteigen und reiten dürfen. Hinzu komme noch, dass die Klägerin, nach dem zu Beginn des Ritts erfolgten und zu einer - für den Unfall mitursächlichen - mangelnden Balance führenden Verlust eines Steigbügels (gemeint nach dem Verständnis des Senats: Herausrutschen aus einem Steigbügel) nicht zunächst das Tempo zurückgenommen habe, um den Steigbügel wieder zu erlangen. Weitergehende Reitfehler seien hingegen von der insoweit darlegungs- und beweispflichtigen Beklagten nicht hinreichend dargelegt bzw. unter Beweis gestellt worden; eine Beweislastumkehr im Hinblick auf § 834 BGB sei nicht anzunehmen, da die Klägerin nicht als Tieraufseherin i.S. dieser Vorschrift anzusehen sei.
Als Schmerzensgeldgrundbetrag erachte das Gericht unter Berücksichtigung der Unfallfolgen und bei vergleichender Betrachtung der Schmerzensgeldrechtsprechung 12.000,- EUR als angemessen, so dass im Hinblick auf die Mithaftungsquote der Klägerin von 80 % letztlich ein Schmerzensgeld von 2.400,- EUR z...