Leitsatz (amtlich)

Das unberechtigte Übergehen eines Beweisantrags stellt einen Verstoß gegen die Pflicht zur Erschöpfung der Beweismittel als Ausfluss der Pflicht zur Gewährung rechtlichen Gehörs gemäß Art. 103 Abs. 1 GG dar und begründet, da es sich bei dem Gebot der Ausschöpfung der angebotenen Beweise um das Kernstück des Zivilprozesses handelt, einen wesentlichen Verfahrensmangel im Sinne des § 538 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 ZPO.

 

Normenkette

StVG § 7; ZPO § 538 Abs. 2 S. 2 Nr. 1

 

Verfahrensgang

LG Münster (Aktenzeichen 014 O 414/18)

 

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das am 31.10.2019 verkündete Urteil der Einzelrichterin der 14. Zivilkammer des Landgerichts Münster einschließlich des ihm zugrunde liegenden Verfahrens aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Berufungsverfahrens - an das Gericht des ersten Rechtszuges zurückverwiesen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

 

Gründe

I. Der Kläger macht gegen die Beklagten einen Erwerbsschaden, einen Haushaltsführungsschaden sowie einen Vorbehalt für immaterielle und weitere materielle Schäden aus einem von dem bei der Beklagten zu 2 krafthaftpflichtversicherten Beklagten zu 1 allein verursachten Verkehrsunfall vom 20.12.2015 geltend. Der Kläger erlitt unfallbedingt unstreitig eine HWK 7 Bogenfraktur rechts, eine commotio cerebri, eine Kopfplatzwunde und diverse Prellungen. Ausweislich des streitigen Klägervorbringens im angefochtenen Urteil hat der Kläger in erster Instanz geltend gemacht, ein Psychosyndrom nach commotio cerebri und eine nicht näher bezeichnete organische psychische Störung aufgrund einer Schädigung oder Funktionsstörung des Gehirns erlitten zu haben. Er leide ständig unter Schmerzen - insbesondere einem Schmerz der Halswirbelsäule -, weswegen er seit dem Unfallereignis durchgehend arbeitsunfähig sei. Die Schmerzzustände machten einen erholsamen Schlaf unmöglich. Das Ausbleiben einer Linderung lasse eine Unzufriedenheit mit seiner Situation entstehen, so dass er Stimmungsaufheller verordnet bekomme. Die Beklagte zu 2 hat mit der Klageerwiderung diverse von ihr eingeholte Arztberichte von Fachärzten der Fachrichtungen Orthopädie, Unfallchirurgie, Neurologie und Psychiatrie vorgelegt, die nach Untersuchung des Klägers zu dem Ergebnis gelangen, dass der Kläger unfallbedingt nur die im Erstaufnahmebefund beschriebenen Verletzungen erlitten habe, die inzwischen folgenlos abgeheilt seien. Die Berichte beschreiben aber auch anamnestisch erhobene vorbestehende psychische Auffälligkeiten des Klägers und aktuelle psychische Abweichungen, die allerdings nicht unfallbedingt seien. Im Termin hat der Klägervertreter, nachdem dem Landgericht der bisherige Vortrag zur Darlegung einer psychischen Unfallfolge nicht schlüssig erschien, unter Beweisantritt behauptet, der Kläger leide unter einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS).

Das Landgericht hat ein medizinisches Gutachten des Facharztes für Orthopädie K eingeholt. Dieser kam zu dem Ergebnis, dass die Folgen der von dem Kläger erlittenen C 7 Bogenfraktur erfahrungsgemäß nach drei Monaten folgenlos verheilten, die Schmerzen daher nicht aus dem orthopädischen Fachbereich heraus zu erklären seien. Entgegenstehende bildgebende Hinweise gebe es nicht. Die Einholung eines psychiatrischen Gutachtens hat das Landgericht mit der Begründung abgelehnt, der Kläger sei dem durch Vorlage der von der Beklagten veranlassten ärztlichen Stellungnahmen erfolgten substantiierten Vortrag, wonach der Kläger keine "posttraumatische Hirnschädigung" erlitten habe, nicht durch Vorlage von Untersuchungsergebnissen entgegengetreten, aus denen sich entgegen der Behauptung der Beklagten eine Hirnsubstanzschädigung ergebe. Auch sei es Aufgabe des Klägers gewesen, darzustellen, wie sich eine die Schmerzen bedingende psychische Störung abzeichne, welche Folgen diese habe, und dass diese kausal auf den Unfall zurückzuführen sei, insbesondere vor dem Hintergrund, dass vom Klinikzentrum N am 19.07.2016 in Bezug auf den Kläger der Verdacht auf eine emotional instabile Persönlichkeitsstörung geäußert worden sei.

Unter Hinweis darauf hat das Landgericht durch am 31.10.2019 verkündetes Urteil, auf das gem. § 540 ZPO verwiesen wird, soweit sich aus dem Nachstehenden nichts anderes ergibt, die Klage mit der Begründung abgewiesen, die von der Beklagten zu 2 vorprozessual auf die hier geltend gemachten materiellen und immateriellen Schadenspositionen gezahlten 25.000,- EUR deckten den unfallbedingt entstandenen Schaden jedenfalls ab. Auch wenn sich die Gründe nicht ausdrücklich mit dem Feststellungsanspruch auseinandersetzen, so ist das Landgericht ersichtlich davon ausgegangen, dass mit Blick auf die abgeschlossene Heilung in Zukunft Schäden materieller oder immaterieller Art nicht zu befürchten seien.

Mit seiner Berufung hält der Kläger als Hauptantrag seine erstinstanzlichen Klageanträge aufrecht, wobei er nunmehr von dem ursprünglich bezifferten Schmerzensgeldantrag abrückt und diesen jetzt im...

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