Leitsatz (amtlich)
›1. Der Schädiger hat grundsätzlich auch für die Folgen einer unbewußten konversionsneurotischen Fehlverarbeitung des Unfallgeschehens haftungsrechtlich einzustehen, wenn diese Folgen mit hinreichender Gewißheit ohne das Unfallgeschehen nicht eingetreten wären und wenn das Schadensereignis weder Bagatellcharakter hatte noch von einer sog. Renten- oder Begehrensneurose des Geschädigten ausgegangen werden kann.
2. In die Bemessung eines der Billigkeit entsprechenden Schmerzensgeldes ist grundsätzlich auch die Ungewißheit einzubeziehen, die sich aufgrund einer in der Struktur des Geschädigten angelegten Neurose, für die zukünftige Entwicklung ergibt. Ausschlaggebenden Einfluß auf die Bestimmung des Schmerzensgeldes hat dieser Aspekt aber nur dann, wenn konkrete Anhaltspunkte dafür bestehen, daß früher oder später auch ohne das Unfallereignis Fehlentwicklungen vergleichbaren Ausmaßes aufgetreten wären.‹
Verfahrensgang
LG Bochum (Aktenzeichen 8 O 144/98) |
Tatbestand
Der Kläger nimmt die Beklagte auf Schadensersatz, Schmerzensgeld und Feststellung der weiteren materiellen und immateriellen Ersatzpflicht aufgrund eines Unfalles in Anspruch, der sich am 9. Februar 1996 auf dem Bürgersteig vor dem Haus der Beklagten, M in R ereignete.
Aufgrund einer defekten Regenrinne hatte sich vor dem Haus eine Eisschicht gebildet; der Bürgersteig war insoweit nicht gestreut. Als der Kläger auf dem Weg von seiner Arbeitsstelle zu seinem Pkw das Grundstück auf dem Bürgersteig passieren wollte, trat er auf die Eisschicht, glitt mit dem Standbein nach vorne weg und stürzte. Dabei schlug er mit dem Steißbein hart auf den Boden auf, wobei der Kopf nach hinten geschleudert wurde. Unstreitig erlitt der Kläger dabei eine Stauchung der Halswirbelsäule sowie eine Steißbein- und Beckenprellung mit Hamatombildung. Die grundsätzliche Haftung der Beklagten für die Folgen dieses Unfalles ist zwischen den Parteien nicht im Streit.
Der Kläger ist gelernter Bankkaufmann und war bis zum Unfall im Außendienst der beschäftigt. Bis zum 22.03.1996 erhielt er Lohnfortzahlung. Ab dem 23.03.1996 bis 31.05.1997 bezog er eine Verletztenrenten der Verwaltungsberufsgenossenschaft. Für die Zeit bis Ende Februar 1997 erhielt der Kläger insgesamt 49.769,30 DM, für die Zeit bis 31.05.1997 weitere 2.041,21 DM. Die Verwaltungsberufsgenossenschaft lehnte nach Einholung entsprechender Gutachten über den 19.03.1997 hinaus eine unfallbedingte Behandlungsbedurftigkeit und eine diesbezüglich unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit ab. Die hinter der Beklagten stehende Haftpflichtversicherung zahlte an den Kläger vorprozessual ein Schmerzensgeld von 7.500,00 DM. Darüber hinaus erhielt er weitere 6.000,00 DM zur freien Verrechnung. Der Kläger verrechnet diesen Betrag auf den beanspruchten materiellen Schadensersatz.
Der Kläger hat behauptet, daß er über die unstreitigen Verletzungen hinaus durch den Sturz eine Absprengung am Dornfortsatz C 7 und einen Deckplatteneinbruch am 7. Halswirbelkörper mit entsprechender Verwölbung der Bandscheibe erlitten habe. Zudem sei es durch den Sturz zu einer Einengung des Liquorraumes gekommen. Seit dem Sturz leide er an permanenten, an Intensität nicht nachlassenden, bis in die Stirnregion ausstrahlenden Nacken- und Hinterkopfschmerzen. Zudem sei es seit dem Sturz zu einer schmerzhaften Einschränkung der Beweglichkeit der HWS gekommen. Seit dem Sturz habe er Schwindelgefuhle und Schluckbeschwerden, sein Hörvermögen sei ebenfalls eingeschränkt. Vor dem Unfallereignis habe er keine Beschwerden gehabt, so daß sämtliche Beschwerden und Folgen auf das Unfallereignis zurückzuführen seien. Seit dem Sturz sei er auch zu 100 % arbeitsunfähig. Er habe keine Vorerkrankungen gehabt, so daß die dargestellten Beschwerden und Folgen nicht nur eine vorübergehende Verschlimmerung unfallunabhängiger Leiden seien. Als Schmerzensgeld für die erlittenen Verletzungen, die eingetretenen Folgen und vorhandenen Beschwerden halt der Kläger einen Betrag von insgesamt 27.500,00 DM für angemessen.
Zudem sei ihm durch den Unfall ein Verdienstausfallschaden bis zum 31.05.1997 in Höhe von 29.922,10 DM entstanden. Er habe nämlich bis zum Unfall einen Jahresnettoverdienst von 62.194,05 DM gehabt, was einem monatlichen Nettoeinkommen von 5.182,34 DM entspreche. Zudem habe er in der Vergangenheit jährliche Abschlußvergütungen von 3.000,00 DM erhalten. Diese sei wegen der langen Arbeitsunfähigkeit im Jahre 1996 bezogen auf das Jahr 1995 auf 1.500,00 DM verkürzt worden; weitere diesbezügliche Zahlungen habe er nicht mehr erhalten. Außerdem sei der Arbeitgeberzuschuß zur Krankenversicherung weggefallen, so daß er für die Zeit von August 1996 bis Oktober 1997 einen Gesamtbetrag von 6.970,65 DM diesbezüglich verlangen könne. Letztlich sei ihm ein Schaden durch die notwendigen Fahrtkosten entstanden, wobei sich insoweit ein Betrag bis einschließlich Mai 1997 in Höhe von 931,84 DM ergebe.
Der Kläger hat beantragt,
1.
die Beklagte zu verurteilen, an ihn ein weiteres Schmerzensge...