Leitsatz (amtlich)

Ein unzureichend verfülltes, ca. 10 cm tiefes, scharfkantiges Bauloch in einer Fahrbahnoberfläche kann eine abhilfebedürftige Gefahrenstelle sein. Eine Kommune verletzt die ihr obliegende Pflicht, eine Baustellenabsicherung zu kontrollieren, wenn sie über einen Zeitraum von annähernd drei Wochen nach Einrichtung der Baustelle keinerlei Kontrollen vorgesehen und durchgeführt hat.

 

Normenkette

BGB § 839; GG Art. 34; StrWG NW §§ 2, 9, 9a, 47

 

Verfahrensgang

LG Dortmund (Aktenzeichen 25 O 519/20)

 

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das am 25.05.2021 verkündete Urteil der 25. Zivilkammer des Landgerichts Dortmund teilweise abgeändert:

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 2.430,14 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 01.12.2020 sowie 334,75 EUR an außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten zu zahlen.

Im Übrigen bleibt die Klage abgewiesen.

Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits erster und zweiter Instanz tragen der Kläger zu 25 % und die Beklagte zu 75 %.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

 

Gründe

A. Von der Darstellung des Tatbestandes wird gem. §§ 540 Abs. 2, 313a Abs. 1 S. 1 ZPO abgesehen.

B. Die gem. § 511, 517 ff. ZPO statthafte und in zulässigerweise Weise rechtzeitig eingelegte und begründete Berufung hat in der Sache in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg.

I. Der Kläger hat gegen die beklagte Stadt einen Anspruch auf Zahlung von 2.430,14 EUR aus § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG i.V.m. §§ 2, 9, 9a, 47 StrWG NRW.

1. Die Beklagte, die die Straßenbaulast für die in ihrem Stadtgebiet liegende A-Straße gem. §§ 2, 9, 9a, 47 StrWG NRW trägt, hat die gegenüber dem Kläger bestehende Amtspflicht i.S.v. § 839 BGB verletzt, die von Drittfirmen durchgeführten Baustellenabsicherungsarbeiten auf der Fahrbahn auf der Höhe der Hausnummer ... zu kontrollieren.

a) Es ist nunmehr in zweiter Instanz zwischen den Parteien unstreitig, dass sich zum Unfallzeitpunkt am Abend des 00.00.2020 ein unzureichend verfülltes, rechteckiges, durch Ausfräsung der Fahrbahnoberfläche scharfkantiges Bauloch auf der Fahrbahn der A-Straße auf der Höhe der Hausnummer ... befand, welches zur Ausführung von der Beklagten bereits mit Schreiben vom 11.08.2020 durch die B Netz GmbH (BNETZ) angezeigten Gasleitungsverlegungsarbeiten entstanden ist. Dieser Aufbruch der Fahrbahn wurde unstreitig bereits am 05.10.2020 von der Fa. C Rohrleitungsbau D GmbH & Co.KG im Auftrag der BNETZ vorgenommen.

b) Die beklagte Stadt war im Rahmen der ihr obliegenden allgemeinen Verkehrssicherungspflicht verpflichtet, eine Absicherung von Baustellen auf kommunalen Straßen im Hinblick auf abhilfebedürftige Gefahrenstellen zu kontrollieren und zu überwachen (vgl. OLG Karlsruhe, Urt. v. 26.01.2005 - 7 U 161/03, Juris Tz. 5 ff.).

aa) Bei einer Baustelle im Bereich des öffentlichen Verkehrsraums ist neben und unabhängig von dem ebenso verkehrssicherungspflichtigen Bauunternehmer, der die Baustelle deutlich erkennbar zu machen und abzusichern hat, der Träger der Straßenbaulast aus § 839 Abs. 1 BGB verkehrssicherungspflichtig (vgl. OLG Karlsruhe, Urt. v. 26.01.2005 - 7 U 161/03, Juris Tz. 9 ff.). Bei dem Straßenbaulastträger verbleibt selbst dann eine Kontroll- und Überwachungspflicht betreffend die durch den Privatunternehmer zu treffenden Maßnahmen, wenn dieser bei der Vergabe von Aufträgen an Privatunternehmer im Rahmen des § 45 Abs. 6 StVO für den Baustellenbereich auch die Verpflichtung zur Verkehrssicherung an den Bauunternehmer überträgt. Wenn der Träger der Straßenbaulast während der Kontrolle erkennt oder hätte erkennen können und müssen, dass die Privatfirma einer erhöhten Gefahrenlage nicht ausreichend Rechnung trägt, bleibt er zu einem Eingreifen unabhängig von der Fachkunde der Privatfirma verpflichtet (OLG Karlsruhe, Urt. v. 26.01.2005 - 7 U 161/03, Juris Tz. 34; OLG Hamm, Urt. v. 09.06.1998 - 9 U 129/97, Juris Tz. 21).

bb) Nach diesen Maßstäben wäre die Beklagte selbst dann, wenn sie - wie sie meint - die Verkehrssicherungspflicht auf das beauftragte Unternehmen übertragen hätte, zu einer Kontrolle verpflichtet gewesen. Zudem hat die Beklagte ihre Behauptung, die Verkehrssicherungspflicht sei von ihr vollständig auf die BNETZ bzw. dann von dieser auf die Fa. Rohrleitungsbau D GmbH & Co. KG übertragen worden, bereits nicht schlüssig darzulegen vermocht. Der Verweis auf die im Senatstermin am 09.03.2022 überreichten "Handlungsanweisungen für die DEW21/BNETZ - Projektleiter und beauftragte Baufirmen im Verhältnis zur Stadt B - Tiefbauamt" vom 01.03.2017 beinhaltet bereits keine Übertragung der Verkehrssicherungspflicht.

c) Ihre Überwachungspflicht hat die Beklagte verletzt.

aa) Der Senat muss nicht entscheiden, wie die Kontrollpflichten für sich auf Fahrbahnen kommunaler Straßen erstreckende Baustellenabsicherungen im Einzelnen auszugestalten sind. Jedenfalls verletzt eine Gemeinde die ihr obliegende Pflicht, eine Baustellenabsicherung zu kontrollieren, wenn si...

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