Leitsatz (amtlich)

1. Allein daraus, dass ein Pkw-Hersteller bei einem Achsanstoß einen Austausch der Achse empfiehlt, ergibt sich nicht zwingend, dass einer solcher zur Reparatur tatsächlich erforderlich im Sinne des § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB ist.

2. Sind Schäden am Fahrwerk oder an der Lenkung nicht dokumentiert und lässt die vorliegende Achsvermessung auch unfallfremde Ursachen für eine minimale Achsverschiebung zu, steht ein unfallursächlicher Achsschaden nicht fest.

3. Wird eine optisch vorbeschädigte Felge durch einen Unfall weiter optisch beeinträchtigt, ohne dass dies aus technischer Sicht einen Austausch der Felge erforderlich machte, und führt die weitere optische Beeinträchtigung zu keiner weiteren Wertminderung, schließt die Vorschädigung einen Ersatzanspruch aus.

 

Normenkette

BGB § 249 ff.

 

Verfahrensgang

LG Essen (Aktenzeichen 11 O 83/21)

 

Tenor

Auf die Berufung der Klägerin wird das am 07.10.2022 verkündete Urteil der Einzelrichterin der 11. Zivilkammer des Landgerichts Essen (11 O 83/21) unter Aufhebung des Versäumnisurteils vom 06.05.2022 abgeändert.

Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin einen Betrag in Höhe von 25,00 Euro zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 23.01.2021 zu zahlen.

Die Beklagten werden darüber hinaus als Gesamtschuldner verurteilt, die Klägerin von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten des Rechtsanwalts L. in Höhe von 117,88 Euro sowie von Sachverständigenkosten der C. GmbH aus der Rechnung vom 08.01.2021 in Höhe von 1.051,13 Euro freizustellen.

Im Übrigen bleibt die Klage unter Zurückweisung der weitergehenden Berufung abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Klägerin zu 82 Prozent und die Beklagten zu 18 Prozent.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

 

Gründe

A. Von der Darstellung der tatsächlichen Feststellungen wird gemäß § 540 Abs. 2, § 313a Abs. 1 Satz 1, § 544 Abs. 2 Nr. 1 ZPO abgesehen.

B. Die zulässige Berufung der Klägerin ist im aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet, im Übrigen unbegründet. Die Klage ist zulässig, aber überwiegend nicht begründet.

I. Die Haftung der Beklagten gemäß § 7 Abs. 1, § 18 Abs. 1 StVG, § 115 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VVG, § 1 Satz 1 PflVG gegenüber der Klägerin aufgrund des streitgegenständlichen Unfallereignisses vom 28.12.2020 an der Kreuzung H.-straße/I.-straße in B. ist dem Grunde nach unstreitig. Allerdings hat die Klägerin den ihr obliegenden Beweis, dass der geltend gemachte Achsschaden an der Vorderachse ihres Fahrzeuges durch den streitgegenständlichen Anstoß durch das Beklagtenfahrzeug verursacht worden ist, nicht geführt. Die unstreitige Beschädigung des Felgensterns stellt aufgrund der Vorschädigung der linken Vorderradfelge keine relevante Schadensvertiefung dar, sodass die auf Gutachtenbasis geltend gemachten Reparaturkosten nicht ersetzt verlangt werden können. Der Klägerin steht lediglich eine Kostenpauschale in Höhe von 25,00 Euro zuzüglich Verzugszinsen sowie die Freistellung von den vorgerichtlich angefallenen Begutachtungskosten sowie anteiligen Rechtsanwaltsgebühren zu. Im Übrigen ist die Berufung der Klägerin unbegründet, sodass es insoweit bei der Klageabweisung durch das Landgericht verbleibt.

Im Einzelnen:

1. a) Der Klägerin steht gegen den Beklagten zu 2 als Halter des Beklagtenfahrzeugs gemäß § 7 Abs. 1 StVG, gegen den Beklagten zu 3 als Fahrer i.V.m. § 18 Abs. 1 StVG und gegen die Beklagte zu 1 als Kfz-Haftpflichtversicherer i.V.m. § 115 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VVG, § 1 Satz 1 PflVG kein Anspruch auf Ersatz der fiktiv auf Gutachtenbasis abgerechneten Nettoreparaturkosten in Höhe von 4.800,63 Euro zu.

Das klägerische Fahrzeug ist zwar durch das Beklagtenfahrzeug bei dessen Betrieb unstreitig am Felgenstern des linken Vorderrades beschädigt worden, so dass eine Eigentumsverletzung vorliegt und die Haftung nach § 7 StVG (i.V.m. § 18 Abs. 1 StVG sowie § 115 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VVG, § 1 Satz 1 PflVG) eröffnet ist. Anhaltspunkte für einen Ausschluss der Ersatzpflicht der Beklagten wegen höherer Gewalt gemäß § 7 Abs. 2 StVG bestehen nicht. Der Unfall war für die Klägerin unabwendbar im Sinne von § 17 Abs. 3 StVG, sodass die Beklagten grundsätzlich allein haften.

b) Der Klägerin ist jedoch der Nachweis nicht gelungen, dass durch das streitgegenständliche Unfallereignis der von ihr geltend gemachte Achsschaden an dem Fahrzeug entstanden ist, und zwar bereits unter Zugrundelegung des erleichterten Beweismaßes des § 287 ZPO, so dass offen bleiben kann, inwieweit die Beweiserleichterung hier überhaupt greift oder der strengere Maßstab des 286 ZPO anzuwenden ist. Denn nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme lässt sich bereits nicht feststellen, dass mit überwiegender Wahrscheinlichkeit überhaupt ein Achsschaden an der Vorderachse des klägerischen Fahrzeuges vorliegt und ein solcher durch den streitgegenständlichen Unfall hätte verursacht werden können.

Die Klägerin hat den geltend gemachten Schaden zwar nach Auffassung des Senats hinreichend dargelegt. Insbe...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?