Leitsatz (amtlich)
1. Zur - hier noch offen gelassenen - Frage der Zulässigkeit der Übernahme der Protokollführung über die Beweisaufnahme, konkret die Protokollierung des mündlichen Gutachtens durch den Sachverständigen selbst (siehe die Unzulässigkeit bejahend OLG Hamm Urt. v. 29.12.2023 - 7 U 73/23, r+s 2024, 425).
2. Muss ein Fahrzeugführer auf einer zweispurigen Autobahn auf Grund einer Einengungstafel von der linken auf die rechte Spur wechseln, muss er nach § 7 Abs. 5 StVO trotz nach § 7 Abs. 4 StVO geltenden Reißverschlussverfahrens eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer in der rechten Spur ausschließen (in Fortschreibung zu BGH Urt. v. 8.3.2022 - VI ZR 1308/20, r+s 2022, 343 Rn. 14).
3. Der nachfolgende Fahrzeugführer auf der rechten Spur muss sich zugleich im Einzelfall - wie hier - bei hinreichender Erkennbarkeit des anstehenden Spurwechsel Verstöße gegen § 7 Abs. 4 StVO, § 3 Abs. 1 Satz 2 StVO und gegen § 1 Abs. 2 StVO entgegenhalten lassen (im Anschluss an OLG Saarbrücken Urt. v. 1.8.2019 - 4 U 18/19, NJW-RR 2019, 1436 = juris Rn. 42; OLG München Urt. v. 21.4.2017 - 10 U 4565/16, r+s 2017, 657 = juris Rn. 19; OLG Düsseldorf Urt. v. 22.7.2014 - I-1 U 152/13, BeckRS 2014, 21934 = juris Rn. 38; KG Beschl. v. 19.10.2009 - 12 U 227/08, NJW-RR 2010, 1113 = juris Rn. 10), die - wie hier - eine Haftungsteilung rechtfertigen können.
Normenkette
StVG § 7 Abs. 1, § 17 Abs. 2; StVO § 1 Abs. 2, § 3 Abs. 1 S. 2, § 7 Abs. 1, 4-5, § 42 Richtzeichen 531 ("Einengungstafel") nach Anlage 3
Verfahrensgang
LG Bielefeld (Aktenzeichen 2 O 83/21) |
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird das am 18.07.2022 verkündete Urteil der Einzelrichterin der 2. Zivilkammer des Landgerichts Bielefeld (2 O 83/21) unter Zurückweisung der weitergehenden Berufung wie folgt abgeändert:
Die Beklagten werden verurteilt, als Gesamtschuldner an die Klägerin 3.525,53 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hinsichtlich der Beklagten zu 1) seit dem 05.08.2021 und hinsichtlich des Beklagten zu 2) seit dem 06.08.2021 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Klägerin zu 58 % und die Beklagten als Gesamtschuldner zu 42 %.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe
A. Von der Darstellung der tatsächlichen Feststellungen wird gemäß §§ 540 Abs. 2, 313a Abs. 1 Satz 1, 544 Abs. 2 Nr. 1 ZPO abgesehen.
B. Die zulässige Berufung der Klägerin ist im aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet.
I. Der Klägerin steht gegen die Beklagten als Gesamtschuldner ein Anspruch auf Ersatz ihres unfallbedingten Schadens nach einer hälftigen Haftungsquote in Höhe von 3.525,53 EUR aus § 7 Abs. 1 StVG, hinsichtlich des Beklagten zu 2) auch in Verbindung mit § 18 Abs. 1 StVG und hinsichtlich der Beklagten zu 1) in Verbindung mit § 115 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VVG, § 1 Satz 1 PflVG zu.
1. Da die Klägerin unstreitig Eigentümerin des streitgegenständlichen Fahrzeugs ist und dieses bei Betrieb des auf den Beklagten zu 2) zugelassenen und von ihm gesteuerten und bei der Beklagten zu 1) haftpflichtversicherten Kraftfahrzeug beschädigt worden ist, ist die Haftung aus § 7 StVG (i.V.m. § 18 Abs. 1 StVG i.V.m. § 115 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VVG, § 1 Satz 1 PflVG) eröffnet.
Die Ersatzpflicht der Beklagten ist auch nicht nach § 7 Abs. 2 StVG ausgeschlossen, da offenkundig keine höhere Gewalt vorlag.
2. Da der Schaden durch mehrere Fahrzeuge verursacht worden ist, hängt die Verpflichtung zum Schadensersatz sowie der Umfang des zu leistenden Ersatzes im Verhältnis der Fahrzeughalter zueinander gemäß § 17 StVG von den Umständen, insbesondere davon ab, wie weit der Schaden vorwiegend von dem einen oder dem anderen Teil verursacht worden ist. Nach dieser Maßgabe haften die Beklagten als Gesamtschuldner für die Unfallfolgen zu einer Quote von 50 %.
a. Zur Klärung des zwischen den Parteien streitigen Unfallhergangs war der Senat gehalten, die erstinstanzliche Beweisaufnahme in Form des mündlich erstatteten unfallanalytischen Sachverständigengutachtens zu wiederholen, weil sich aus der Protokollierung desselben in erster Instanz durch den Sachverständigen konkrete Anhaltspunkte ergaben, die im Sinne des § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO Zweifel an der Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen begründeten und deshalb neue Feststellungen geboten. Da das protokollierte Sachverständigengutachten erster Instanz somit schon nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO keine abschließende Grundlage für eine instanzbeendende Entscheidung sein konnte, konnte der Senat die sich in diesem Zusammenhang aufdrängende Frage, ob die Übernahme der Protokollführung über die Beweisaufnahme durch den Sachverständigen ein Verstoß gegen § 159 Abs. 1 ZPO und - mangels Berufungsrüge - zugleich ein von Amts wegen zu berücksichtigender Mangel im Sinne des § 529 Abs. 2 S. 1 ZPO ist, dahinstehen lassen.
Das erstinstanzliche Urteil, mit dem das Landgericht die Klage insgesamt abgewiesen hat, konnte nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme vor dem Senat keinen Bestand haben....