Leitsatz (amtlich)
Zwar stellt das Abbiegen in eine neben der Fahrbahn liegende Parkbox bzw. Parkbucht kein Abbiegen in ein Grundstück i.S.v. § 9 Abs. 5 StVO dar. Allerdings kann das im Vergleich zum Abbiegen in eine Einmündung im Einzelfall erhöhte Gefährungspotential in Anwendung des Rechtsgedankens dieser Vorschrift bei der Gewichtung der wechselseitigen Verursachungsbeiträge im Rahmen der Abwägung gem. § 17 Abs. 1 und 2 StVG berücksichtigt werden.
Normenkette
StVG § 17; StVO § 9 Abs. 5
Verfahrensgang
LG Bochum (Urteil vom 19.03.2013; Aktenzeichen 1 O 495/11) |
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird - unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen - das Urteil des Einzelrichters der 1. Zivilkammer des LG Bochum vom 19.3.2013 (Az.: 1 O 495/11) teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Die Beklagten werden verurteilt, als Gesamtschuldner an den Kläger 5.055,98 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 12.9.2011 sowie außergerichtliche Rechtsanwaltskosten i.H.v. 285,24 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 12.1.2012 zu zahlen.
Im Übrigen bleibt die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits erster Instanz tragen der Kläger sowie die Beklagten als Gesamtschuldner zu je 50 %. Die Kosten des Rechtsstreits zweiter Instanz tragen der Kläger zu 72 % und die Beklagten als Gesamtschuldner zu 28 %.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe
I. Von der Darstellung des Tatbestandes wird gem. §§ 540 Abs. 2, 313a Abs. 1 S. 1 ZPO, 26 Nr. 8 EGZPO abgesehen.
II. Die Berufung des Klägers ist zulässig. Insbesondere genügt die Begründung auch den Anforderungen des § 520 Abs. 3 ZPO. Diesbezüglich reicht es aus, wenn die Begründung zu einem einzigen Streitpunkt eines prozessualen Anspruchs rechtzeitig eingereicht wird (vgl. dazu auch Heßler, in Zöller, ZPO, 29. Aufl. 2012, § 520 Rz. 27).
In der Sache hat die Berufung des Klägers lediglich in dem tenorierten Umfang Erfolg. Insoweit beruht das Urteil des LG auf einer Rechtsverletzung bzw. rechtfertigen die gem. §§ 529, 531 ZPO zugrunde zu legenden Tatsachen eine für den Kläger günstigere Entscheidung (§ 513 ZPO).
1. Die Voraussetzungen für die Haftung des Beklagten zu 1) gem. §§ 7, 18 StVG, 823 Abs. 1 und für die Haftung der Beklagten zu 2) gem. § 115 Abs. 1 Nr. 1 VVG sind dem Grunde nach unproblematisch gegeben und vom LG zutreffend bejaht worden.
2. Im Rahmen der gem. § 17 Abs. 1 und 2 StVG zu bildenden Haftungsquote ist das LG allerdings unzutreffend von einer höheren Haftung des Klägers ausgegangen. Unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles, insbesondere der Verursachungsbeiträge der Parteien, ist eine gleich hohe Haftung des Klägers und der Beklagten angemessen. Die Betriebsgefahr beider Fahrzeuge ist durch schuldhafte Verstöße gegen die in der StVO geregelten Sorgfaltspflichten erhöht.
a) Der Kläger hat die ihm beim Abbiegen in die Parkbox obliegenden Sorgfaltspflichten verletzt.
Dabei musste der Kläger zum einen die Sorgfaltspflichten des § 9 Abs. 1 StVO beachten. § 9 Abs. 1 StVO regelt auch das Abbiegen in einen neben der Fahrbahn liegenden Parkplatz (Burmann, in: Burmann/Heß/Jahnke/Janker, Straßenverkehrsrecht, 22. Aufl. 2012, § 9 StVO Rz. 4).
Ob der Kläger daneben auch die Sorgfaltspflichten des § 9 Abs. 5 StVO beim Abbiegen in ein Grundstück beachten musste, ist zweifelhaft.
Teilweise wird vertreten, dass Grundstücke i.S.v. § 9 Abs. 5 StVO alle nicht für den öffentlichen Verkehr bestimmten Flächen seien, also in erster Linie private Grundflächen und Privatwege. Tatsächlich oder rechtlich öffentliche Flächen, die nicht dem fließenden Verkehr dienen, wie Parkplätze, Parktaschen und Parkstreifen neben der Fahrbahn, seien hingegen Straßenteile i.S.v. § 10 StVO und damit von den Grundstücken i.S.v. § 9 Abs. 5 StVO deutlich zu unterscheiden (OLG Düsseldorf NZV 1993, 360; Burmann, in: Burmann/Heß/Jahnke/Janker, a.a.O., § 9 StVO Rz. 53f; Zieres, in: Geigel, Der Haftpflichtprozess, 26. Aufl. 2011, 27. Kapitel Rz. 292). Nach dieser Auffassung stellten die neben der Fahrbahn liegenden und dem öffentlichen Verkehr dienenden Parkboxen keine Grundstücke dar, so dass § 9 Abs. 5 StVO vorliegend keine Anwendung findet.
Nach der Gegenauffassung stellen Grundstücke i.S.v. § 9 Abs. 5 StVO hingegen alle Verkehrsflächen dar, die nicht dem fließenden Verkehr dienen. Begründet wird dies mit der Funktion dieser Vorschrift, die den besonderen Gefahren Rechnung trage, die mit dem Verlassen des fließenden Verkehr verbunden seien (OLG Stuttgart, Beschl. v. 20.10.2011 - 4 Ss 623/11; OLG Düsseldorf NZV 1993, 198f; OLG Düsseldorf NZV 1988, 231f; König, in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 42. Aufl. 2013, § 9 StVO Rz. 45; so wohl auch - ohne nähere Begründung - KG, Urt. v. 16.6.2011 - 12 U 135/10; OLG München, Urt. v. 29.10.2010 - 10 U 2996/10; OLG Hamm, VersR 1976, 1094). Unter Zugrundelegung dieser Rechtsauffassung wollte der Kläger durch das Abbiegen in die Parkbox den fließenden Verkehr verlass...