Leitsatz (amtlich)
1. Fallen witterungsbedingt akute Maßnahmen zur Verkehrssicherung an (hier: Beseitigung von Herbstlaub auf kombiniertem Rad-/Gehweg), darf sich die verkehrssicherungspflichtige Gemeinde nicht auf die Durchführung der turnusmäßigen Dienste (hier: Straßenreinigung) beschränken, wenn diese zur Sicherung nicht ausreichen. Es ist dem Sicherungspflichtigen zumutbar, auch außerhalb üblicher Dienstzeiten die Erfüllung der Verkehrssicherungspflicht sicher zu stellen.
2. Kommt eine Radfahrerin auf Laub bedecktem Rad-/Fußweg zu Fall, weil die Fahr-/Gehbahn durch vermodertes Laub glitschig geworden ist, trifft sie ein Mitverschulden, das bei Kenntnis länger ausgebliebener Straßenreinigung und daraus folgender Glättegefahr schwerer wiegen kann als das Versagen der öffentlichen Hand.
Verfahrensgang
LG Essen (Urteil vom 29.04.2004; Aktenzeichen 4 O 61/03) |
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten und die Anschlussberufung der Klägerin wird - unter Zurückweisung ihrer weiter gehenden Rechtsmittel - das am 29.4.2004 verkündete Urteil der 4. Zivilkammer des Essen abgeändert und so neu gefasst:
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin
a) ein Schmerzensgeld i.H.v. 4.000 EUR,
b) 1.807,39 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 20.3.2003 zu zahlen.
Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin 40 % aller Schäden zu ersetzen, die dieser aus dem Unfall vom 12.11.2001 in Zukunft noch entstehen, soweit die entsprechenden Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger übergegangen sind.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits werden so verteilt:
Von den Kosten des Rechtszuges erster Instanz tragen die Klägerin 72 % und die Beklagte 28 %.
Von den Kosten der Berufungsinstanz tragen die Klägerin 67 % und die Beklagte 33 %.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe
I. Das LG hat der Klägerin Schmerzensgeld i.H.v. 7.500 EUR und dem Grunde nach vollen materiellen Schadensersatz aus einem Fahrradunfall vom 12.11.2001 gegen 11:00 Uhr zugesprochen, bei dem sie als Fahrerin eines Geländerades (Mountainbike) auf einem von der Beklagten unterhaltenen, kombinierten Fuß/Radweg längs der D.-Straße in N. auf einer regennassen Blätterschicht, die vom herbstlichen Laubfall der in Straßennähe stehenden Bäume herrührte, mit dem Hinterrad ins Rutschen und zu Fall gekommen war. Die Klägerin hatte dabei linksseitig eine mediale Oberschenkelhalsfraktur erlitten, für deren Folgen die Vorinstanz die Beklagte unter dem Gesichtspunkt der Verkehrssicherungspflichtverletzung als schadensersatzpflichtig angesehen hat.
Die Beklagte hatte die Laubbeseitigung in ihrem Stadtgebiet grundsätzlich im Wochenrhythmus durchgeführt; die danach am 9.12.2001 (freitags) begonnene Reinigung war jedoch wegen Kapazitätserschöpfung der Kehrmaschine nicht bis zum Unfallbereich durchgeführt und aus innerbetrieblichen Gründen bei der Beklagten nicht bis zum folgenden Montag, dem Unfalltag, nachgeholt worden.
Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes bis zum Abschluss der ersten Instanz wird auf das angefochtene Urteil einschließlich seiner Entscheidungsgründe Bezug genommen.
Mit der Berufung begehrt die Beklagte weiterhin Klageabweisung. Sie akzeptiert die tatsächlichen Feststellungen des LG auch zur Schadenshöhe, will aber den Umfang ihrer Verkehrssicherungspflicht bezüglich der Laubbeseitigung, die Eigenverantwortlichkeit des Verkehrsteilnehmers und den Einwand mitwirkenden Eigenverschuldens grundsätzlich geklärt wissen. Sie rügt, das LG habe die Verkehrssicherungspflicht mit dem Erfordernis der Laubbeseitigung in wöchentlichem statt in dem von ihr, Beklagter, für ausreichend gehaltenen zweiwöchentlichen Turnus überdehnt. Insoweit verweist sie auf die Grenze der Zumutbarkeit der Verkehrssicherungspflicht auch für die öffentlichen Radwege, die von der Verpflichtung zur täglich mehrfach erforderlichen Laubbeseitigung, welche allein absolute Gefahrlosigkeit gewährleisten könne, entbinde, während andererseits die Verkehrsteilnehmer - Radfahrer wie Fußgänger - im Herbst stets mit Glätte durch Laub auf dem Boden rechnen müssten und sich auf die mit zumutbarem Aufwand nicht zu beseitigenden Gefahren daraus selbst einrichten könnten. Ihre eigene Organisation einer prinzipiell wöchentlichen Laubbeseitigung hinsichtlich der Radwege binde sie, die Beklagte, nicht in der Weise, dass sie davon nicht aus - hier geltend gemachten - innerbetrieblichen Gründen im Vertrauen auf die zu erwartende Eigenvorsorge der Verkehrsteilnehmer abweichen dürfe.
Soweit die Klägerin nunmehr die erstinstanzlich festgestellten Reinigungsdaten bestreitet, tritt die Beklagte dem im Einzelnen entgegen.
Völlig verkannt habe das LG das als anspruchsausschließend zu gewichtende Eigenverschulden der Klägerin. Es gehöre zum allgemeinen Wissen, dass eine unter Bäumen liegende, mehr oder weniger dicke Laubschicht bei feuchtem Wetter glatt ist, und dass man sich auf die daraus resultierende Rutschgefahr durch angepass...