Leitsatz (amtlich)

Der Anwalt ist, soweit der Auftraggeber einen ordnungsgemäß angeforderten Vorschuss (§ 9 RVG) nicht pünktlich und vollständig zahlt, berechtigt, weitere Tätigkeiten abzulehnen, bis der Vorschuss eingegangen ist. Die Ausübung eines Zurückbehaltungsrechts ist jedoch nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) begrenzt. Unter anderem muss der Anwalt dem Verbot widersprüchlichen Verhaltens Rechnung tragen (Weiterführung von OLG Karlsruhe, Urt. v. 19.11.1987 - 4 U 178/86)

 

Normenkette

BGB §§ 242, 280 Abs. 1, § 320; RVG §§ 9, 20, 15 Abs. 2 S. 1

 

Verfahrensgang

LG Essen (Urteil vom 18.03.2010; Aktenzeichen 18 O 435/09)

 

Tenor

Die Berufung des Beklagten gegen das am 18.3.2010 verkündete Urteil der 18. Zivilkammer des LG Essen wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens werden dem Beklagten auferlegt.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Gründe

I. Von der Darstellung tatsächlicher Feststellungen wird gem. § 540 Abs. 2, § 313a Abs. 1 Satz 1 ZPO i.V.m. § 544 Abs. 1 Satz 1 ZPO, § 26 Nr. 8 EGZPO abgesehen.

II. Die Berufung des Beklagten ist unbegründet.

1. Dem Kläger steht der ihm vom LG zuerkannte Schadenersatzanspruch wegen anwaltlicher Pflichtverletzung zu (§ 280 Abs. 1, § 675 Abs. 1, § 611 BGB).

a) Der Kläger war in der Vergangenheit aufgrund einer Generalvollmacht für ein Unternehmen namens U GmbH (nachfolgend: Arbeitgeberin) tätig. Ein vom Kläger eingestellter Arbeitnehmer nahm die Arbeitgeberin nach Beendigung des kurzen Arbeitsverhältnisses wegen nicht gezahlten Lohns in zwei arbeitsgerichtlichen Instanzen in Anspruch. Trotz eines Prozessvergleichs mit der Arbeitgeberin wurde der Lohnanspruch nicht vollständig erfüllt. Der Arbeitnehmer nahm nunmehr den Regresskläger auf deliktischer Grundlage auf Schadensersatz in Anspruch. Der Arbeitnehmer erwirkte einen Vollstreckungsbescheid des ArbG G, gegen den der Regresskläger Einspruch einlegte. Nach Verweisung an die Zivilgerichte war der Rechtsstreit bei dem AG L anhängig. Der Regresskläger hatte den Beklagten, der damals als Rechtsanwalt zugelassen war, mandatiert, um den Schadenersatzanspruch abzuwehren.

b) Hierbei verletzte der Beklagte seine anwaltlichen Pflichten, indem er den vom AG L für den 1.4.2008 anberaumten Verhandlungstermin nicht wahrnahm. Aufgrund der Säumnis erging ein Zweites Versäumnisurteil gegen den Regresskläger, mit dem sein Einspruch gegen den Vollstreckungsbescheid verworfen wurde.

c) Dem Beklagten stand unter den hier gegebenen Umständen kein Zurückbehaltungsrecht zu, mit dem er die Säumnis im Verhandlungstermin vor dem AG L rechtfertigen könnte.

Macht der Rechtsanwalt weitere Tätigkeiten von einer Vorschusszahlung nach § 9 RVG abhängig, so macht er zwar ein Zurückbehaltungsrecht nach § 320 BGB geltend. Danach ist der Anwalt, soweit der Auftraggeber einen ordnungsgemäß angeforderten Vorschuss gem. § 9 RVG nicht pünktlich und vollständig zahlt, berechtigt, weitere Tätigkeiten abzulehnen, bis der Vorschuss eingegangen ist. Die Ausübung des Zurückbehaltungsrechts ist jedoch nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) begrenzt (OLG Karlsruhe, Urt. v. 19.11.1987 - 4 U 178/86, juris; s. auch N. Schneider in: AnwKomm/RVG, 5. Aufl., § 9 Rz. 78; Klees in: Mayer/Kroiß, Rechtsanwaltsvergütungsgesetz, 4. Aufl., § 9 Rz. 38). Unter anderem muss der Anwalt das Verbot widersprüchlichen Verhaltens beachten. Dem hat der Beklagte nicht Rechnung getragen.

aa) Der Beklagte machte zwar zunächst in zulässiger Weise von seinem Zurückbehaltungsrecht Gebrauch. Das ergibt sich aus der vom Beklagten in zweiter Instanz nach Rückerlangung seiner Handakten vorgelegten Korrespondenz mit dem Regresskläger, deren Inhalt unstreitig ist. Danach übersandte der Beklagte dem Kläger mit Schreiben vom 26.9.2007 eine Vorschussrechnung über 835,98 EUR. Spätestens mit der E-Mail vom 8.1.2008 stellte der Beklagte gegenüber dem Kläger klar, dass er das Mandat nur nach Ausgleich der Vorschussrechnung weiterbearbeiten werde.

bb) Der Kläger konnte aber aufgrund der im Senatstermin zu den Akten gereichten E-Mail des Beklagten vom 25.3.2008 davon ausgehen, dass dieser das Zurückbehaltungsrecht nicht mehr ausübt. Mit der vorgenannten E-Mail hat der Beklagte den Kläger zu einem Zeitpunkt, als der Termin vor dem AG L unmittelbar bevorstand, um weitere Informationen, insbesondere zum Ausgang eines etwaigen staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahrens, gebeten. Zur Erläuterung für den Kläger führte der Beklagte aus, es sei nicht einfach zu entscheiden, ob der Vortrag der Gegenseite zur Begründung des geltend gemachten Schadensersatzanspruchs ausreiche. Der Kläger teilte dem Beklagten in Beantwortung der vorgenannten E-Mail noch am 25.3.2008 mit, dass die Staatsanwaltschaft das gegen ihn eingeleitete Ermittlungsverfahren mangels hinreichenden Tatverdachts gem. § 170 Abs. 2 StPO eingestellt habe. Hiervon setzte der Beklagte das AG L mit Schriftsatz vom 31.3.2008 in Kenntnis.

Die Anforderung und Entgegennahme von Informationen zur Bekämpfung des von der Gegenseite gel...

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