Leitsatz (amtlich)
›1. Ein Fußgänger, der bei Dunkelheit am linken Fahrbahnrand einer schmalen Landstraße ohne Seitenstreifen entlanggeht, muß die Fahrbahn bei Gegenverkehr evtl. ganz verlassen und auf den Grünstreifen ausweichen; das gilt vor allem dann, wenn sich aus der Gegenrichtung ebenfalls ein Fahrzeug nähert und die Begegnung voraussichtlich in seiner Höhe stattfinden wird.
2. Kommt der Fußgänger dem nicht nach und wird er deshalb von dem entgegenkommenden Pkw angefahren, dessen unter Alkoholeinfluss stehender Führer ihn infolge verkehrswidrigen Verhaltens (zu schnelles Fahren mit Abblendlicht) nicht rechtzeitig wahrgenommen hat, ist ein Mitverschulden des Fußgängers gegeben, das einen Quotenabzug (hier: von 25 %) rechtfertigt.
3. 115.000 DM [EUR 57500] Schmerzensgeld (Kapital und Rente) bei Oberschenkelamputation, teilweisem Hörverlust, erheblich gestörtem Heilungsverlauf und Verlust der Erwerbsfähigkeit unter Berücksichtigung eines Mitverschuldens von 25 %.‹
Verfahrensgang
LG Paderborn (Entscheidung vom 09.10.1991; Aktenzeichen 4 O 396/89) |
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird - unter Zurückweisung des Rechtsmittels im übrigen - das am.9."Öktober 1991 verkündete Urteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts Paderborn abgeändert.
Die Beklagten werden verurteilt, als Gesamtschuldner an den Kläger weitere 3,25 % Zinsen von 90.000,00 DM für die Zeit vom 10.10.1989 bis 20.10.1989 und von 40.000,00 DM für die Zeit vom 21.10.1989 bis zum 05.06.1992 zu zahlen.
Die Beklagten werden weiter verurteilt, als Gesamtschuldner an den Kläger ab 10.10.1989 eine monatlich im voraus zu zahlende Schmerzensgeldrehte in Höhe von 150,00 DM nebst 4 % Zinsen jeweils ab Fälligkeitstag auf die Rückstände zu zahlen.
Es wird festgestellt, daß die Beklagten verpflichtet sind, als Gesamtschuldner dem Kläger 75 % aller weiteren materiellen Schäden aus dem Unfall vom 17.06.1989 zu ersetzen, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind oder übergehen, ferner alle weiteren immateriellen Schäden unter Berücksichtigung eines Mitverschuldens von 25 %.
Im übrigen bleibt die Klage abgewiesen.
Zur Entscheidung über die Höhe des restlichen materiellen Schadensersatzbegehrens wird der Rechtsstreit an das Landgericht zurückverwiesen, das auch über die Kosten der zweiten Instanz zu entscheiden hat.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Den Beklagten wird nachgelassen, die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des jeweils beizutreibenden Betrages abzuwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung in dieser Höhe Sicherheit leistet. Die Parteien können die Sicherheit durch eine unbedingte und unbefristete selbstschuldnerische Bürgschaft einer deutschen Großbank, öffentlichen Sparkasse oder Genossenschaftsbank leisten.
Beschwer des Klägers: über 90.000,00 DM
Beschwer der Beklagten: unter 30.000,00 DM.
Tatbestand
Der Kläger begehrt Ersatz seiner materiellen und immateriellen Schäden und die Feststellung der Haftung für weitere Schäden aus einem Unfall, der sich am 18.06.1989 gegen 2.35 Uhr auf der... außerhalb des Ortsteils ... ereignet hat.
Der damals 49 Jahre alte Klage hatte unter anderem mit den Zeugen ... und ... an einem Heimatfest in ... teilgenommen. Das Heimatfest fand wenige hundert Meter von dem Haus des Klägers in ... entfernt in einem Festzelt statt. Der Kläger und seine Begleiter entschlossen sich, den Heimweg über die -. zu Fuß anzutreten. Sie benutzten den äußersten linken Rand der Fahrbahn und gingen hintereinander her, der Kläger voraus. Die asphaltierte Fahrbahn ist 5 Meter breit. Beiderseits befinden sich weiße Begrenzungslinien. Der Zwischenraum zwischen den beiden Begrenzungslinien ist 4,60 Meter breit. Seitenstreifen sind nicht vorhanden. An die Fahrbahn schließt sich beiderseits ein grasbewachsener Randstreifen an. Als sie die Ortschaft... bereits verlassen hatten, machte der Kläger seine Begleiter auf den Vollmond aufmerksam. Um das Naturschauspiel zu beobachten, blieben sie am linken Fahrbahnrand hintereinander stehen und richteten ihre Aufmerksamkeit nach links oben. Aus der Ferne war noch die Musik aus dem Festzelt zu hören. Zur selben Zeit befuhr der Beklagte zu 2) mit seinem Pkw VW Scirocco, der bei dem Beklagten zu 1) versichert war, ebenfalls die ...Jedoch in Gegenrichtung, also in Richtung ... Er war ebenfalls ursprünglich auf dem Heimatfest gewesen, hatte sich aber mit seiner Begleiterin zerstritten und dann das Fest verlassen, um nach ihr zu suchen. Nunmehr war er wieder auf dem Weg zum Festplatz. Etwa in Höhe der Fußgängergruppe, zu der der Kläger gehörte, kam ihm ein anderes Fahrzeug entgegen. Der Beklagte zu 2) bemerkte die Fußgängergruppe nicht und fuhr mit unverminderter Geschwindigkeit in sie hinein. Alle drei Fußgänger wurden, und zwar jeweils an ihrer rechten Körperseite, verletzt, der Kläger schwer. Spätere Untersuchungen ergaben bei dem Beklagten zu 2) eine Blutalkoholkonzentration von 1,22 %o. Gegen ihn wurde ein Strafverfahren einge...