Entscheidungsstichwort (Thema)
Entziehung der Fahrerlaubnis. Widerlegung der Regelvermutung
Leitsatz (amtlich)
An eine Widerlegung der Regelvermutung des § 69 Abs. 2 Nr. 2 StGB sind nochmals gesteigerte Anforderungen zu stellen, sofern es sich um einen Wiederholungstäter handelt, gegen den bereits früher Maßregeln nach §§ 69, 69 a StGB verhängt worden sind.
Gegebenenfalls bedarf es der Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens (Gutachten einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle für Fahreignung, § 11 Abs. 3 Satz 1 FeV), das sich eingehend und nach Maßgabe anerkannter Begutachtungsrichtlinien zur Eignung des Angeklagten, Kraftfahrzeuge im Straßenverkehr zu führen, verhält.
§ 13 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 FeV bietet auch dem Strafrichter eine Leitlinie, in welchen Fällen er bei beabsichtigter Abweichung von der Regelvermutung des § 69 Abs. 2 StGB gehalten ist, ein entsprechendes Gutachten einzuholen oder von dem Angeklagten beibringen zu lassen.
Normenkette
StGB § 69 Abs. 2 Nr. 2; FeV § 13 Abs. 1 S. 1 Nr. 2
Verfahrensgang
LG Essen (Aktenzeichen 30 Ns 19/15) |
Tenor
Das angefochtene Urteil wird im Rechtsfolgenausspruch mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Essen zurückverwiesen.
Gründe
I.
Das Amtsgericht - Strafrichterin - Essen hat den Angeklagten am 14. Januar 2015 wegen "fahrlässiger Straßenverkehrsgefährdung und wegen Verkehrsunfallflucht in Tateinheit mit vorsätzlicher Trunkenheitsfahrt" zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 6 Monaten verurteilt. Zugleich hat das Amtsgericht dem Angeklagten die Fahrerlaubnis entzogen, seinen Führerschein eingezogen und angeordnet, dass ihm vor Ablauf von noch 18 Monaten keine neue Fahrerlaubnis erteilt werden darf.
Auf die hiergegen gerichtete Berufung des Angeklagten hat die X. kleine Strafkammer des Landgerichts Essen das amtsgerichtliche Urteil aufgehoben und den Angeklagten wegen "vorsätzlicher Trunkenheit im Verkehr und vorsätzlicher Trunkenheit im Verkehr in Tateinheit mit unerlaubtem Entfernen vom Unfallort" zu einer Gesamtgeldstrafe in Höhe von 180 Tagessätzen zu je 10,- € verurteilt. Das Landgericht hat von einer Entziehung der Fahrerlaubnis (§ 69 StGB) sowie einer Sperre für die Erteilung einer Fahrerlaubnis (§ 69 a StGB) abgesehen und sich zur Widerlegung der Regelvermutung des § 69 Abs. 2 Nr. 2 StGB auf die Bekundungen einer Therapeutin des Angeklagten - der Zeugin Q - gestützt, die als Heilpraktikerin für Psychotherapie tätig ist und bei der sich der Angeklagte seit dem 17. Februar 2015 in Behandlung befunden hat. Für den Zeitpunkt der Tatbegehung hat das Landgericht eine BAK in Höhe von mindestens 2,14 Promille bei dem Angeklagten angenommen.
Die Staatsanwaltschaft Essen hat gegen das Berufungsurteil Revision eingelegt und diese mit der Verletzung materiellen Rechts begründet. Im Rahmen der Revisionsbegründung hat die Staatsanwaltschaft näher ausgeführt, die Strafkammer habe zu Unrecht von der Entziehung der Fahrerlaubnis abgesehen. Das Landgericht habe sich angesichts der Höhe der zum Tatzeitpunkt festgestellten BAK und des Umstandes, dass der Angeklagte Wiederholungstäter sei, nicht allein auf die Bekundungen der Zeugin Q stützen dürfen. Vielmehr habe die Strafkammer eine medizinisch-psychologische Untersuchung (MPU) des Angeklagten anordnen müssen, um verlässliche Feststellungen zur Eignung des Angeklagten, Kraftfahrzeuge im Straßenverkehr zu führen, treffen zu können. Jedenfalls habe das Landgericht versäumt, ein Fahrverbot nach § 44 Abs. 1 StGB anzuordnen.
Der Angeklagte hat beantragt, die Revision als unbegründet zu verwerfen.
Die Generalstaatsanwaltschaft ist der Revision der Staatsanwaltschaft Essen - unter Beschränkung auf den Rechtsfolgenausspruch - beigetreten und hat beantragt, das angefochtene Urteil im Rechtsfolgenausspruch aufzuheben und die Sache im Umfang der Aufhebung zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Essen zurückzuverweisen.
II.
Die Revision ist zulässig und hat in der Sache - zumindest vorläufig - Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils im gesamten Rechtsfolgenausspruch und in diesem Umfang zur Zurückverweisung zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Essen.
1.
Die Entscheidung des Landgerichts, die Regelvermutung des § 69 Abs. 2 Nr. 2 StGB als widerlegt anzusehen und deshalb keine Maßregeln nach §§ 69, 69 a StGB anzuordnen, hält einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Sie ist nicht tragfähig begründet worden.
§ 69 Abs. 2 Nr. 2 StGB enthält eine Regelvermutung dafür, dass bei Begehung der Trunkenheit im Verkehr (§ 316 StGB) Umstände in der Person des Angeklagten wirksam geworden sind, welche die Schlussfolgerung auf Ungeeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeugen zulassen. Umstände, welche die Indizwirkung der vorgenannten Katalogtat widerl...