Leitsatz (amtlich)
1. Der Fahrer eines PKW, der schuldhaft einen Verkehrsunfall verursacht hat, kann gegen den KFZ-Haftpflichtversicherer den Schmerzensgeldanspruch der unfallbedingt erheblich verletzten Beifahrerin, die in der Folge verstorben ist und deren Alleinerbe er ist, geltend machen.
2. Zur Bemessung des Schmerzensgeldes bei enger verwandtschaftlicher / ehelicher Beziehung zwischen Schädiger und Geschädigtem (Zurücktreten der Genugtuungsfunktion).
Normenkette
BGB §§ 253, 823, 1922; StVG §§ 7, 18
Verfahrensgang
LG Bielefeld (Aktenzeichen 8 O 319/17) |
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das am 17.01.2018 verkündete Urteil des Einzelrichters der 8. Zivilkammer des Landgerichts Bielefeld (Az.: 8 O 319/17) unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen teilweise geändert und wie folgt neu gefasst:
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 15.025,00 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 09.05.2017 sowie 290,82 EUR vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten seit dem 12.09.2017 zu zahlen.
Im Übrigen bleibt die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits in 1. Instanz und 2. Instanz tragen der Kläger zu 94 % und die Beklagte zu 6 %.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 % des auf Grund des Urteils jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Gründe
I. Der Kläger macht als Erbe seiner im Juli 2016 verstorbenen Ehefrau Schmerzensgeldansprüche gegen die Beklagte als Kraftfahrzeughaftpflichtversicherer geltend.
Er befuhr am 11.03.2016 mit dem bei der Beklagten haftpflichtversicherten PKW, VW Touran, amtliches Kennzeichen ..., in I den S Weg in Fahrtrichtung H Straße. Auf dem Beifahrersitz saß seine Ehefrau, die Geschädigte, die zum Unfallzeitpunkt 81 Jahre alt war.
An einem unbeschrankten Bahnübergang an der P fuhr der Kläger aus Unachtsamkeit trotz blinkender Signalanlage in den Bereich des Bahnübergangs. Es kam zu einem Zusammenstoß zwischen dem Touran und einem von rechts mit einer Geschwindigkeit von ca. 50 km/h kommenden Triebwagen der E; das Fahrzeug wurde ca. 100 m mitgeschleift. Die Haftung dem Grunde nach steht zwischen den Parteien außer Streit.
Die Ehefrau wurde schwerstverletzt. Unmittelbar nach dem Unfall war sie noch bei Bewusstsein. Nach notfallmäßiger Verbringung in ein Krankenhaus wurde sie für die Dauer einer knappen Woche in ein künstliches Koma versetzt. Sie erlitt ein Schädelhirntrauma/Hirnblutung, die Wirbelsäule war im Bereich der Halswirbelsäule, im Bereich der Brustwirbelsäule und im Bereich der Lendenwirbelsäule gebrochen wie sie auch auf beiden Seiten einen Schlüsselbeinbruch sowie Rippenserienfrakturen erlitt. Rechts waren zudem das Schienbein mehrfach und das Wadenbein gebrochen. Es lagen innere Verletzungen im Brustfellraum, an der Leber und den Nebennieren vor. Nach zunächst eingetretener Stabilisierung traten am 23.03.2016 akute Oberbauchschmerzen auf, wegen derer sie wieder auf die Intensivstation verlegt wurde. Bei der Eröffnung der Bauchhöhle zeigten sich eine Bauchfellentzündung sowie eine Perforation am Rektum. Es folgte eine Rektumresektion mit Blindverschluss des Rektumstumpfes, wobei sich eine mangelnde Versorgung der linken Hand bei Verschluss der Arteria radialis entwickelte, die zu einer operativen Entfernung eines Thrombus veranlasste. Die Geschädigte wurde bis zum 19.04.2016 auf der Intensivstation überwacht. Während dieser Zeit war sie durchgehend bei Bewusstsein, empfing Besuch und kommunizierte mit diesem, wenn auch ihre Wahrnehmung und Kommunikationsfähigkeit durch die Schmerzmedikation beeinträchtigt war. Es kam zunächst zu einer graduellen Stabilisierung. Auf sodann aufgetretene erhöhte Entzündungswerte wurde eine Rektumstumpfinsuffizienz festgestellt, die eine Spongeanlage wegen eines postoperativen Subileus (Vorstufe Darmverschluss) bedingte. Bei weiterer langsamer Verbesserung des Zustands wurde sie am 17.05.2016 zur Durchführung einer Rehabilitationsmaßnahme in die N-Klinik C verlegt, wo sie allerdings nur wenige Tage verblieb. Wegen Atemnot und der Unterschreitung der altersüblichen Herzfrequenz sowie wegen eines kühlen linken Armes wurde sie am 20.05.2016 in das örtliche Krankenhaus C, internistische Intensivstation, verlegt. Am 23.05.2016 wurde ein mechanischer Darmverschluss festgestellt, der eine operative Dünndarmteilresektion und AP-Neuanlage erforderlich machte. In der Folgezeit wurde sie u.a. wegen nachgewiesener MRSA-Keime isoliert. Es folgten Atemversagen und chronische Pleuraergüsse, die atemtherapeutische Unterstützung und künstliche Ernährung erforderlich machten. Nach fast fünfwöchigen Intensivstationsaufenthalt wurde sie am 29.06.2016 zunächst bei verbessertem Zustand auf eine periphere Station verlegt. Vier Tage später, am 03.07.2016, erlitt sie einen...