Entscheidungsstichwort (Thema)

Lebensversicherung, § 5a VVG a.F.: Widerspruch treuwidrig

 

Leitsatz (amtlich)

Fall eines wegen widersprüchlichen Verhaltens des Versicherungsnehmers unwirksamen Widerspruchs: (insbesondere) Sicherungsabtretung sogleich bei Abschluss des Versicherungsvertrags.

 

Verfahrensgang

LG Hagen (Urteil vom 09.08.2016)

 

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das am 09.08.2016 verkündete Urteil der 9. Zivilkammer des LG Hagen abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.

Dieses Urteil und das angefochtene Urteil sind vorläufig vollstreckbar.

Die Klägerin darf die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 % des zu vollstreckbaren Betrages leistet.

 

Gründe

I. Die Klägerin nimmt die Beklagte auf Rückabwicklung einer 1997 im Wege des Policenmodells geschlossenen und regulär 2011 beendeten sowie ausgezahlten kapitalbildenden Lebensversicherung mit Risikozusatzversicherung zur Absicherung im Todesfall nach einem 2015 erklärten Widerspruch in Anspruch.

Wegen der Einzelheiten des erstinstanzlichen Vorbringens der Parteien wird auf die zwischen ihnen gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils vom 09.08.2016 (GA 228-234), insbesondere auch wegen der konkret gestellten Anträge, verwiesen.

Das LG hat der Klage teilweise stattgegeben, da der Zugang der Widerspruchsbelehrung nicht bewiesen und die Widerspruchsfrist mithin nicht in Gang gesetzt worden sei. Auf Treu und Glauben könne sich die Beklagte nicht mit Erfolg berufen. Wegen der genauen Gründe des Urteils wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils vom 09.08.2016 (GA 228-234) verwiesen.

Hiergegen wendet sich die Beklagte mit ihrer Berufung und verfolgt ihren erstinstanzlichen Klageabweisungsantrag weiter, u.a. weil die Geltendmachung der Ansprüche gegen Treu und Glauben verstoße. Die Klägerin begehrt Berufungszurückweisung.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien in der Berufungsinstanz - insbesondere der Klägerin auf den Hinweis des Senats vom 20.10.2016 - wird auf ihre Schriftsätze verwiesen.

II. Die Berufung der Beklagten ist begründet, da die Klage unbegründet ist.

Die geltend gemachten Haupt-, Neben- und Hilfsansprüche stehen der Klägerin nach ihrem Widerspruch aus dem Jahr 2015 jedenfalls gemäß § 242 BGB aufgrund widersprüchlichen Verhaltens nicht zu. Dies gilt unabhängig davon, ob die Widerspruchsbelehrung ordnungsgemäß ergangen ist und die für den Lauf der Widerspruchsfrist erforderlichen Unterlagen zugegangen sind.

1. Im Einzelfall kann ein Bereicherungsanspruch mit Rücksicht auf die besonderen Umstände des Falles nach § 242 BGB unabhängig von Zweifeln an der Wirksamkeit nach dem Policenmodell geschlossener Versicherungsverträge wegen Gemeinschaftsrechtswidrigkeit des § 5a VVG a.F. wegen widersprüchlichen Verhaltens des Versicherungsnehmers ausgeschlossen sein (vgl. BGH, Beschl. v. 27.01.2016, IV ZR 130/15, juris, Rn. 16, RuS 2016, 230).

Dem steht auch Europarecht nicht entgegen, da die Maßstäbe für die Berücksichtigung der Gesichtspunkte von Treu und Glauben in der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union geklärt sind und die Annahme rechtsmissbräuchlichen Verhaltens im Einklang mit dieser Rechtsprechung stehen kann. Die Frage, ob verbraucherschützende Widerspruchsrechte durch nationale Vorschriften zum Rechtsmissbrauch beschränkt werden dürfen, berührt zwar das Gebot der praktischen Wirksamkeit. Der Anwendung von Treu und Glauben und des Verbots widersprüchlicher Rechtsausübung steht dies aber nicht entgegen, weil die Ausübung dieser Rechte in das nationale Zivilrecht eingebettet bleibt und die nationalen Gerichte ein missbräuchliches Verhalten auch nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union berücksichtigen dürfen (vgl. m.w.N. BGH, Beschl. v. 22.03.2016, IV ZR 130/15, juris, Rn. 2 f., RuS 2016, 231; BGH, Beschl. v. 12.10.2015, IV ZR 63/13, juris, Rn. 3 f.; BGH, Beschl. v. 13.01.2016, IV ZR 117/15, juris, Rn. 3 f.; BGH, Beschl. v. 22.03.2016, IV ZR 161/15, juris, Rn. 3 f.).

Allgemein gültige Maßstäbe dazu, ob und unter welchen Voraussetzungen eine fehlende/nicht ordnungsgemäße Belehrung oder - wie hier - die unvollständige Übersendung der maßgeblichen Unterlagen einer Anwendung von § 242 BGB entgegensteht, können nicht aufgestellt werden. Die Anwendung der Grundsätze von Treu und Glauben im Einzelfall obliegt grundsätzlich dem Tatrichter (vgl. BGH, Beschl. v. 11.11.2015, IV ZR 117/15, juris, Rn. 16; BGH, Urt. v. 11.05.2016, IV ZR 334/15, juris, Rn. 16, RuS 2016, 339 mit insoweit zustimmender Anm. Jacob, jurisPR-VersR 7/2016 Anm. 1 a.E.).

Es müssen im Einzelfall für den Versicherungsnehmer erkennbar besonders gravierende Umstände festgestellt werden, die dem Versicherungsnehmer die Geltendmachung seines Anspruchs verwehren (vgl. BGH, Beschl...

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