Leitsatz (amtlich)
Die Überschreitung der Richtgeschwindigkeit von 130 km/h auf Autobahnen durch einen Fahrzeugführer, der in einen Unfall verwickelt worden ist, schließt zwar die Berufung auf die Unabwendbarkeit des Unfalls im Sinne von § 7 Abs. 2 StVG aus (wenn nicht der Beweis geführt wird, dass es auch bei Einhaltung der Richtgeschwindigkeit zu dem Unfall mit vergleichbaren Folgen gekommen wäre), der Halter ist aber nicht schon deshalb in jedem Fall haftungsbegründend oder anspruchsmindernd belastet. Über die endgültige Haftungsverteilung entscheidet nämlich erst die Abwägung der Verursachungsbeiträge im Rahmen von § 17 StVG; diese kann dazu führen, dass die Betriebsgefahr des mit mehr als 130 km/h geführten Fahrzeuges gegenüber einer deutlich höheren Betriebsgefahr des anderen unfallbeteiligten Fahrzeuges zu vernachlässigen ist.
Normenkette
StVG § 7 Abs. 2, § 17 Abs. 1 S. 2
Verfahrensgang
LG Bielefeld (Aktenzeichen 2 O 304/01) |
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das am 25.9.2001 verkündete Urteil der 2. Zivilkammer des LG Bielefeld wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Rechtsmittels werden den Beklagten auferlegt.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Verantwortlichkeit für einen Verkehrsunfall, der sich am … auf der BAB … ereignet hat.
Der Zeuge … befuhr an diesem Tage gegen … Uhr mit dem bei der Klägerin gemieteten PKW … die linke Fahrspur der im Bereich … dreispurigen BAB in Fahrtrichtung … Zur selben Zeit befuhr der Beklagte zu 1) mit dem Omnibus der Beklagten zu 2) den rechten Fahrstreifen der BAB in dieselbe Richtung. Dabei führte der Beklagte zu 1), ohne auf den nachfolgenden Verkehr zu achten, einen Fahrstreifenwechsel auf die mittlere Fahrspur aus. Hierdurch zwang er die mit einem … und einer Geschwindigkeit von ca. 130 km/h auf der mittleren Spur fahrende Zeugin … zu einem plötzlichen Fahrstreifenwechsel auf die linke Spur, wo der Zeuge … sich mit dem gemieteten … bei einer Geschwindigkeit von 160 km/h näherte. Um ein Auffahren auf den … zu vermeiden, führte der Zeuge … eine Vollbremsung durch und lenkte den PKW der Klägerin gegen die linke Leitplanke. Hierbei wurde das Fahrzeug beschädigt.
Die Klägerin macht die Beklagten für den ihr entstandenen Schaden allein verantwortlich und meint, der Unfall sei für den Zeugen … unabwendbar gewesen. Mit der Klage hat sie zunächst ihren gesamten mit 12.780,62 DM bezifferten Schaden und nach Zahlung eines Teilbetrages (3.554,41 DM) durch die Beklagte zu 3) noch den restlichen Schaden geltend gemacht.
Die Beklagten sind diesem Begehren entgegengetreten und haben eine über die Quote von 1/4 hinausgehende Verantwortung des Beklagten zu 1) für den Unfall bestritten.
Das LG hat nach Vernehmung von Zeugen und Anhörung des Beklagten zu 1) der Klage in vollem Umfang stattgegeben (12.780,62 DM ./. 3.554,41 DM). Es hat ein schuldhaft verkehrswidriges Verhalten des Beklagten zu 1) als alleinige Unfallursache bejaht und die Kollision als unabwendbar für den Zeugen … angesehen.
Hiergegen wenden sich die Beklagten mit der Berufung, soweit der Klägerin ein über die Quote von 3/4 hinausgehender Ersatzanspruch zuerkannt worden ist. Sie meinen, die Klägerin müsse sich die mit einem Anteil von 1/4 zu bewertende Betriebsgefahr ihres Fahrzeuges anrechnen lassen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung der Beklagten ist unbegründet.
Die Klägerin hat wegen des Verkehrsunfalls vom … gegen die Beklagten gem. §§ 7, 18 StVG, § 3 Nr. 1 PflVG einen Schadenersatzanspruch i.H.v. 6.534,63 EUR (12.780,62 DM) erlangt. Nach der während des Rechtsstreits durch die Beklagte zu 3) erfolgten Zahlung von 1.817,34 EUR (3.554,51 DM) steht ihr noch eine restliche Forderung i.H.v. 4.636,26 EUR (9.226,11 DM) zu.
1. Dass der Unfall von dem Beklagten zu 1) durch einen verkehrsgefährdenden Fahrstreifenwechsel mit einem bei der Beklagten zu 3) haftpflichtversicherten Kraftomnibus der Beklagten zu 2) verursacht worden ist und damit die Haftungstatbestände der §§ 7 Abs. 1 und 18 Abs. 1 S. 1 StVG erfüllt sind, steht außer Streit.
2. Der Senat stimmt dem LG i.E. zu, dass die Klägerin sich keine Anspruchsminderung entgegenhalten lassen muss.
a) Allerdings reicht das bisherige Beweisergebnis nicht aus, um gem. § 7 Abs. 2 StVG eine Unabwendbarkeit des Unfalles für den Zeugen … feststellen zu können.
Nach der neueren Rechtsprechung des BGH ist die Unabwendbarkeit eines Autobahnunfalles für Fahrzeugführer, die die Richtgeschwindigkeit von 130 km/h überschreiten, grundsätzlich zu verneinen. Sie kommt nur dann in Betracht, wenn derjenige, der sich auf § 7 Abs. 2 StVG beruft, den Nachweis führt, dass es auch bei Einhaltung der Richtgeschwindigkeit zu einem Unfall mit vergleichbar schweren Schäden gekommen wäre (BGH v. 17.3.1992 – VI ZR 62/91, BGHZ 117, 337 = MDR 1992, 647).
Diese positive Feststellung kann nach der Beurteilung des Senats – entgegen der Beweiswürdigung des LG – durch die Aussagen der Zeugen … und … sowie … nicht hinreichend sicher getroffen werden. Zwar ist auch der Senat nach...