Leitsatz (amtlich)
Ein Notar, der unter Missachtung von Treuhandauflagen verfrüht über das Treugut verfügt, kann sich jedenfalls dann nicht auf ein rechtmäßiges Alternativverhalten in Form einer hypothetisch möglich gewesenen Herbeiführung der Auszahlungsvoraussetzungen berufen, wenn nicht feststellbar ist, dass er diese Voraussetzungen noch vor Ablauf der vom Treugeber eingeräumten Frist herbeigeführt hätte.
Normenkette
BNotO §§ 19, 23-24
Verfahrensgang
LG Essen (Urteil vom 10.11.2011; Aktenzeichen 18 O 165/11) |
Tenor
Die Berufung des Beklagten gegen das am 10.11.2011 verkündete Urteil der 18. Zivilkammer des LG Essen wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass der Tenor des Ausspruchs zur Hauptsache wie folgt gefasst wird:
Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 200.000,- EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 20.7.2011 zu zahlen,
Zug um Zug gegen Abtretung der Ansprüche aus der zugunsten der Klägerin
zur lfd. Nr. 12 im Grundbuch von Z Blatt...3,
zur lfd. Nr. 14 im Grundbuch von Z Blatt...7 und
zur lfd. Nr. 11 im Grundbuch von Z Blatt...4 eingetragenen Grundschuld über 200.000,- EUR.
Der Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Beklagte darf die Zwangsvollstreckung aus diesem Urteil durch Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des aufgrund dieses Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit i.H.v. 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Das angefochtene Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Die Klägerin verlangt von dem beklagten Notar Schadensersatz mit dem Vorwurf der Verletzung eines ihm am 30.07./1.8.2008 erteilten Treuhandauftrages.
Die Klägerin gewährte einer Frau B zwei Darlehen zur Finanzierung eines (freihändigen) Grundstückskaufs (Verkäuferin: P Immobilien GmbH, die das Objekt durch Zuschlagsbeschluss des AG Essen vom 21.1.2008 im von der E- Bank aufgrund einer Grundschuld von insgesamt 710.000 EUR betriebenen Zwangsversteigerungsverfahren gegen eine H mbH - im Weiteren: H GmbH - erworben hatte), wobei der Kaufpreis über ein Notaranderkonto des Beklagten geleitet werden sollte. Den entsprechenden Grundstückskaufvertrag beurkundete der Beklagte unter dem 14.7.2008.
Am 30.7.2008 erteilte die Klägerin dem Beklagten einen Treuhandauftrag, den der Beklagte am 1.8.2008 annahm. Nach dem Treuhandauftrag durfte über die Darlehensvaluta nur verfügt werden, wenn sichergestellt war, dass die zugunsten der Klägerin bestellte Buchgrundschuld i.H.v. 200.000 EUR rangrichtig eingetragen werden würde und sämtliche Fälligkeitsvoraussetzungen aus dem Grundstückskaufvertrag erfüllt seien. Insbesondere durften der Buchgrundschuld im Grundbuch in Abt. II. lediglich die lfd. Nr. 1 und 2 (persönliche Dienstbarkeit und Grunddienstbarkeit) und in Abt. III keine Rechte im Rang vorgehen.
Der Beklagte kehrte das Treugeld am 8.8.2008 aus, obwohl seit dem 5.8.2008 zwei Sicherungshypotheken zugunsten der Stadt Essen über insgesamt rd. 25 EUR (Abt. III lfd. Nr. 12 Blatt 5817: Sicherungshypothek i.H.v. 12,46 EUR nebst Zinsen; Abt. III lfd. Nr. 10 Blatt 5813: Sicherungshypothek i.H.v. 12,83 EUR nebst Zinsen) sowie zwei Sicherungshypotheken zugunsten der Deutschen Bank Privat und Geschäftskunden AG (im Folgenden: Deutsche Bank) in sämtlichen streitgegenständlichen Grundbuchblättern über 8.733,82 EUR und über 162.129,07 EUR eingetragen waren. Diese Ansprüche resultierten aus dem Teilungsplan des AG Essen vom 13.3.2008 im Zwangsversteigerungsverfahren und waren als Zinsansprüche bzw. Nebenansprüche gleichsam aus der Grundschuld über 710.000 EUR hervorgegangen. Die Eintragung der entsprechenden Sicherungshypotheken war durch Beschluss des AG - Versteigerungsgericht - Essen vom 8.4.2008 zum Aktenzeichen 181 K 9/05 angeordnet worden, nachdem die P Immobilien GmbH als Ersteherin den Versteigerungserlös nicht erbracht hatte. Die Grundschuld zugunsten der Klägerin wurde am 9.10.2008 im Grundbuch eingetragen. Die Sicherungshypotheken zugunsten der Deutschen Bank wurden am 1.12.2010 gelöscht, die Sicherungshypotheken zugunsten der Stadt Essen am 18.2.2011.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes wird gem. § 540 ZPO auf die Feststellungen in dem angefochtenen Urteil verwiesen.
Erstinstanzlich haben die Parteien im Wesentlichen darüber gestritten, ob im Zeitpunkt der Verfügung des Beklagten über das Treugeld die ranggerechte Eintragung der Buchgrundschuld zugunsten der Klägerin sichergestellt war und ob im Hinblick auf die vorrangig eingetragenen Belastungen zugunsten der Stadt Essen in einer Gesamthöhe von ca. 25 EUR die Ausübung des Widerrufs des Treuhandvertrages sowie das Rückzahlungsverlangen bzgl. des Treugeldes von 200.000 EUR rechtsmissbräuchlich oder unverhältnismäßig ist. Darüber hinaus haben die Parteien erstinstanzlich problematisiert, ob die Schadensfolge in den Schutzbereich der Norm des § 19 BNotO fällt, ob ...