Leitsatz (amtlich)
Abwägung der beiderseitigen Verursachungsbeiträge bei einem Begegnungsunfall zwischen einer außerhalb geschlossener Ortschaften am linken Fahrbahnrand vor einer Linkskurve fahrenden Inlineskaterin und einem in einer Kurve entgegenkommenden Kraftfahrzeug, für das nur die Betriebsgefahr angesetzt werden kann
Normenkette
StVG §§ 7, 9; StVO § 24 Abs. 1 S. 2; BGB § 254
Verfahrensgang
LG Bielefeld (Urteil vom 13.11.2012; Aktenzeichen 2 O 48/12) |
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird das 13.11.2012 verkündete Urteil des Einzelrichters der 2. Zivilkammer des LG Bielefeld unter Zurückweisung des Rechtsmittels im Übrigen teilweise abgeändert.
Die Klage ist dem Grunde nach unter Berücksichtigung eines mit 75 % zu bemessenden Mitverschuldens bzw. Eigenverschuldens der Klägerin gerechtfertigt.
Es wird festgestellt, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, der Klägerin unter Berücksichtigung eines Mitverschuldens bzw. Eigenverschuldens von 75 % sämtlichen bereits entstandenen und künftig noch entstehenden materiellen Schaden und zukünftig noch entstehenden, nicht vorhersehbaren immateriellen Schaden zu ersetzen, der ihr aufgrund des Verkehrsunfallereignisses vom 27.9.2011 auf der I Straße in T entstanden ist bzw. entstehen wird, soweit materielle Schäden nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergehen oder übergegangen sind.
Die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens bleibt dem Schlussurteil vorbehalten.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe
I. Die Klägerin macht gegen die Beklagte Schadensersatz- und Schmerzensgeldansprüche geltend und begehrt Feststellung für materielle und zukünftige immaterielle Schäden, die sie anlässlich eines Verkehrsunfalls vom 27.9.2011 erlitten hat, bei dem sie als Inlineskaterin und der bei der Beklagten zu 2) haftpflichtversicherte Beklagte 1) als Fahrzeugführer beteiligt waren. Hinsichtlich des Sachverhalts wird gem. § 540 Abs. 1 ZPO auf die tatsächlichen Feststellungen des angefochtenen Urteils Bezug genommen, soweit sich aus dem Nachfolgenden nichts anderes ergibt.
Das LG hat die Parteien gem. § 141 ZPO angehört und ein verkehrsanalytischen Gutachten des Sachverständigen Dipl.-Ing S eingeholt. Es hat die Klage mit der Begründung abgewiesen, die Klägerin habe den Unfall in so überwiegendem Maße selbst verschuldet, dass die auf Seiten der Beklagten allein zu berücksichtigende Betriebsgefahr zurücktrete.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung der Klägerin, mit der sie ihre Ansprüche in vollem Umfang weiter verfolgt.
Sie ist der Ansicht, der Beklagte zu 1) habe gegen das Sichtfahrgebot verstoßen, da die von ihm selbst eingeräumte Geschwindigkeit von 40 km/h angesichts der Örtlichkeiten zu hoch gewesen sei. Die technisch darstellbare Geschwindigkeit von nur 29 km/h habe das LG daher nicht seiner Entscheidung zugrundelegen dürfen. Zudem habe der Beklagte zu 1) falsch reagiert, indem er mit seinem Fahrzeug nach rechts auf sie zugefahren sei.
Ein Verschulden ihrerseits sei nicht nachgewiesen. Die ein solches Verschulden begründenden Ausführungen des LG, wonach sie im Kurvenbereich mittig auf der Fahrspur des Beklagten zu 1) diesem entgegengekommen sei, entbehrten belastbaren tatsächlichen Feststellungen und beruhten allein auf Vermutungen.
Die Klägerin beantragt, das angefochtene Urteil abzuändern, und
1. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an sie ein angemessenes Schmerzensgeld nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der EZB seit dem 15.11.2011 nebst vorgerichtlichen Rechtsanwaltsgebühren i.H.v. 3.593,80 EUR zu zahlen,
2. festzustellen, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, ihr sämtlichen bereits entstandenen und auch künftig noch enstehenden materiellen Schaden sowie den weiteren künftig noch eintretenden, derzeit nicht vorhersehbaren immateriellen Schaden zu ersetzen, der ihr aufgrund des Verkehrsunfallereignisses vom 27.9.2011 auf der I Straße in T durch Kollision mit dem Pkw des Beklagten zu 1) entstanden ist bzw. entstehen wird, soweit materielle Schäden nicht auf Sozialversicherungsträger oder Dritte übergehen oder übergegangen sind,
3. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an sie weitere 1.593,88 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der EZB seit Rechtshängigkeit zu zahlen,
4. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an sie weitere 38.400 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der EZB seit Rechtshängigkeit zu zahlen, hilfsweise, das angefochtene Urteil aufzuheben und das Verfahren nach § 538 Abs. 2 Nr. 4 ZPO hinsichtlich der Höhe der Zahlungsansprüche an das LG zurückzuverweisen.
Die Beklagten beantragen, die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagten verteidigen das Urteil des LG.
Hinsichtlich des weiteren Vorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst den damit überreichten Anlagen verwiesen.
Die Akten 702 Js-OWi 1115/12 StA Bielefeld lagen vor und waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung...