Entscheidungsstichwort (Thema)
Berufsunfähigkeitsversicherung: Beweiswürdigung bei chronischem Schmerzsyndrom
Leitsatz (amtlich)
Zur Beweiswürdigung bei chronischem Schmerzsyndrom: In der Regel ist eine persönliche Untersuchung des Versicherten durch den gerichtlichen Sachverständigen erforderlich. Im Ausnahmefall (hier bejaht) kann diese entbehrlich sein.
Zusatz: Eine vom Versicherer zunächst eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde ist zurückgenommen worden.
Verfahrensgang
LG Essen (Aktenzeichen 18 O 100/16) |
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das am 21.02.2018 verkündete Urteil der 18. Zivilkammer des Landgerichts Essen wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.
Dieses Urteil und das angefochtene Urteil sind vorläufig vollstreckbar.
Der Vollstreckungsschuldner darf die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.
Gründe
I. Der Kläger macht Ansprüche aus einer Berufsunfähigkeitszusatzversicherung wegen Schmerzen im rechten Bein, dem Rücken sowie dem rechten Ellenbogen und daraus folgenden Konzentrations- und Koordinationsschwierigkeiten geltend.
Das Landgericht hat der Klage nach Anhörung des Klägers zum von ihm behaupteten Beruf (Servicemitarbeiter bei B) und nach Einholung eines Sachverständigengutachtens zur von ihm behaupteten Krankheit sowie zur von ihm behaupteten Berufsunfähigkeit nach Feststellung eines chronischen Schmerzsyndroms, das die Konzentrationsfähigkeit erheblich einschränke, überwiegend (für die Zeit ab September 2015) stattgegeben.
Bezüglich des weiteren erstinstanzlichen Vortrages, der Anträge und der Entscheidungsgründe wird auf das Urteil des Landgerichts (GA 393-397) verwiesen.
Hiergegen wendet sich die Beklagte mit ihrer Berufung, mit der sie ihr erstinstanzliches Klageabweisungsbegehren - unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens - weiterverfolgt. Das Landgericht habe den bestrittenen Beruf nicht ohne Vernehmung von Zeugen zur Grundlage seiner Entscheidung machen dürfen. Zudem sei den Ausführungen des Sachverständigen zur Berufsunfähigkeit nicht zu folgen, da er selbst keine Diagnostik / Untersuchung durchgeführt habe. Insoweit habe das Landgericht sich auch nicht hinreichend mit den eingeholten widerstreitenden Privatgutachten auseinander gesetzt und den Privatgutachter nicht als Zeugen vernommen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage unter teilweiser Abänderung der angefochtenen Entscheidung vollständig abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Nach Ergänzung der Beweisaufnahme werde sich das erstinstanzliche Urteil bestätigen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien in der Berufungsinstanz wird auf die zwischen ihnen gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.
Der Senat hat den Kläger persönlich angehört und den Zeugen T sowie den Gerichtssachverständigen Priv.-Doz. Dr. H vernommen. Insoweit wird auf die Sitzungsniederschrift vom 16.11.2018 (GA 494 f.) verwiesen. Bezüglich der Aussagen des Zeugen und des Sachverständigen wird auf den Berichterstattervermerk vom 16.11.2018 (GA 497-500) Bezug genommen.
II. Die Berufung ist unbegründet.
1. Dem Kläger stehen die vom Landgericht ausgeurteilten Rentenzahlung für die Zeit bis zur Klageerhebung sowie für die anschließende Zeit ab April 2016 gemäß § 1 Satz 1 VVG in Verbindung mit dem Versicherungsvertrag sowie mit § 1 Abs. 1 lit. b, Abs. 3, § 2 Abs. 1, Abs. 2, Abs. 3 BUZ96 (SB 16 f.) zu, da der Kläger seit spätestens August 2015 krankheitsbedingt zu mindestens 50 % berufsunfähig ist.
Nach § 2 Abs. 1, Abs. 2 [in Verbindung mit § 1 Abs. 1] BUZ96 liegt teilweise Berufsunfähigkeit vor, wenn
"die versicherte Person infolge Krankheit, Körperverletzung oder Kräfteverfalls, die ärztlich nachzuweisen sind, voraussichtlich sechs Monate ununterbrochen [teilweise zu mindestens 50 %] außerstande ist, ihren Beruf oder eine andere Tätigkeit auszuüben, die aufgrund ihrer Ausbildung und Erfahrung ausgeübt werden kann und ihrer bisherigen Lebensstellung entspricht."
Liegt dieser Zustand tatsächlich für sechs Monate vor, gilt dieser Zustand nach § 2 Abs. 3 BUZ96 von Beginn an als vollständige oder teilweise Berufsunfähigkeit.
a) Der Kläger ist seit spätestens August 2015 zu mindestens 50 % krankheitsbedingt außerstande, seinen Beruf auszuüben.
Aufgrund der überzeugenden Ausführungen des Gerichtssachverständigen steht für den Senat ohne vernünftigen Zweifel fest, dass bei dem Kläger ein chronisches Schmerzsyndrom, also eine bedingungsgemäßen Krankheit bestand und noch besteht, die auf mehrere Ursachen zurückzuführen ist (vgl. zuletzt Berichterstattervermerk vom 16.11.2018 Seite 1 f., GA 497 f.).
Diese Krankheit und die durch sie erzwungene (Schmerz-)Therapie führten und führen nach den überzeugenden Angaben des Gerichtssachverständigen, insbesondere im Senatstermin, beim Kläger zu einer ganz erheblich verminderten Bela...