Leitsatz (amtlich)
Teilnehmer des fließenden - an sich auch bevorrechtigten - Verkehrs sind verpflichtet, einem Einsatzfahrzeug (mit Blaulicht und Martinshorn) "freie Bahn" zu schaffen, um dessen Fahrer zu ermöglichen, zügig zum Einsatzort zu gelangen. Die Wahl der unter den gegebenen Umständen günstigsten Fahrlinie für das Einsatzfahrzeug durch den Verkehr obliegt dem Einsatzfahrer.
Hat der nach § 38 Abs. 1 StVO verpflichtete Verkehrsteilnehmer seinen Beitrag zur "freien Bahn" geleistet und eine neutrale Position eingenommen, konkretisiert sich die Verpflichtung aus der genannten Vorschrift dahin, so lange zu warten, bis eine künftige Störung des Fahrweges des Einsatzfahrzeugs durch ihn ausgeschlossen ist. Verlässt er dagegen seine neutrale Position zu früh, weil er meint, dem Einsatzfahrer eine bessere Fahrlinie eröffnen zu können, und kommt es dabei zu einer Kollision mit dem Einsatzfahrzeug, liegt darin ein Verstoß gegen § 38 Abs. 1 StVO und kann die alleinige Verantwortlichkeit des entsprechenden Fahrzeugführers zur Folge haben.
Verfahrensgang
LG Dortmund (Aktenzeichen 21 O 40/07) |
Tenor
Die Kosten des Rechtsmittels werden dem Kläger auferlegt.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe
Der Kläger verlangt Schadensersatz nach einem Verkehrsunfall mit einem im Einsatz befindlichen Notarztwagen. In erster Instanz hat er sowohl den Beklagten zu 1) als Fahrer als auch die Beklagte zu 2) als Halterin des Notarztwagens in Anspruch genommen.
Am 21.6.2006 (Mittwoch) gegen 16:00 Uhr befuhr der Notarztwagen (ein Mercedes Kombi der E-Klasse) im Rahmen einer Einsatzfahrt zur Versorgung eines Patienten mit einer Hirnblutung die C-Straße innerorts von E2 Richtung C2-Platz. Blaulicht und Martinshorn waren eingeschaltet. Der Kläger fuhr mit seinem Mercedes SLK in gleicher Fahrtrichtung, befand sich allerdings weiter voraus in Richtung C2-Platz.
Die C-Straße hat in jeder Fahrtrichtung einen Fahrstreifen. Auf dem Mittelstreifen befinden sich unterbrochen von Bäumen und anderer Bepflanzung freie Bereiche, die als Ausweichmöglichkeiten von Pkw genutzt werden können.
Der Kläger nahm den herannahenden Notarztwagen wahr und wich - ebenso wie weitere Fahrzeuge hinter ihm - auf den Mittelstreifen aus, um diesem die Durchfahrt zu ermöglichen. Vor dem Kläger befand sich allerdings ein Kleintransporter, der in eine Einfahrt nach rechts ausgewichen war, aber dennoch mit dem Fahrzeugheck den Fahrstreifen blockierte.
Daraufhin lenkte der Kläger den Mercedes ohne zu blinken vom Mittelsstreifen auf die Fahrbahnhälfte des Gegenverkehrs, wo es zur Kollision mit dem Notarztwagen, der ebenfalls nach dorthin ausgewichen war, um links an den im Mittelstreifen wartenden Fahrzeugen vorbei zu fahren.
Der Kläger hat behauptet, er habe durch sein Ausweichmanöver auf die Gegenfahrspur dem Notarztwagen die Weiterfahrt ermöglichen wollen. Diese Spur sei aber wenige Fahrzeuglängen weiter vorne hinter einem Fußgängerüberweg bis zum C2-Platz ebenfalls mit Fahrzeugen blockiert gewesen, so dass der Rettungswagen dort nicht hätte weiter fahren können. Er habe ihm deshalb durch sein Ausweichen den Weg zurück auf die rechte Fahrbahnseite und das Umfahren des Transporters ermöglichen wollen.
Der Kläger hat 80 % seines angeblichen Schadens geltend gemacht, obwohl seiner Auffassung nach eine alleinige Haftung der Beklagten bestehe. Dazu hat er behauptet, die Reparaturkosten beliefen sich nach einem Kostenvoranschlag seiner Mercedes-Werkstatt auf 1.735,79 EUR inkl. 16 % MWSt. Ferner seien ihm vorgerichtliche RA-Kosten i.H.v. 90,77 EUR entstanden. 80 % der Summe ergebe die Klageforderung i.H.v. 1.479,40 EUR nebst Zinsen.
Die Beklagten haben Klageabweisung beantragt. Die Beklagte zu 2) hat widerklagend den ihr entstandenen Sachschaden i.H.v. insgesamt 2.020,51 EUR nebst Zinsen geltend gemacht.
Sie haben behauptet, der Beklagte zu 1) sei mit dem Notarztwagen auf die in Fahrtrichtung linke Fahrbahnseite gefahren, weil diese bis zum C2-Platz frei gewesen sei. Kurz vor dem vom Kläger geführten Mercedes habe dieser plötzlich und unerwartet seinen Wagen auf die linke Fahrspur gelenkt, so dass es dem Beklagten zu 1) nicht mehr möglich gewesen sei zu bremsen. Der Unfall sei deshalb für den Beklagten zu 1) unabwendbar gewesen.
Das LG hat nach Anhörung der unfallbeteiligten Parteien und Vernehmung der Zeugen B, D und S der Widerklage der Beklagten zu 2) stattgegeben und die Klage abgewiesen. Ansprüche des Klägers könnten sich nur aus § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG ergeben. Deshalb hafte der Beklagte zu 1) nicht persönlich, sondern allenfalls die Beklagte zu 2) als Anstellungskörperschaft. Eine Haftung der Beklagten zu 2) sei nach Abwägung der wechselseitigen Verursachungsbeiträge nicht anzunehmen. Der Kläger hätte nicht die eingenommene Position im Mittelstreifen verlassen dürfen, weil er zumindest mit der Möglichkeit habe rechnen müssen, dass der Krankenwagen die linke Fahrbahnseite zum weiteren Fortkommen nutzen könnte. Ob diese bis zum C2-Platz frei gewesen sei oder nicht, könne dah...