Verfahrensgang
LG Siegen (Urteil vom 09.06.2022; Aktenzeichen 2 O 69/22) |
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das am 09.06.2022 verkündete Urteil des Einzelrichters der 2. Zivilkammer des Landgerichts Siegen - 2 O 69/22 - wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Kläger.
Dieses Urteil und das angefochtene Urteil sind vorläufig vollstreckbar.
Gründe
I. Von der Darstellung des Tatbestandes wird gemäß §§ 540 Abs. 2, 313a Abs. 1 S. 1 ZPO abgesehen.
II. Die gemäß § 511 Abs. 1 ZPO statthafte und auch im Übrigen zulässige Berufung des Klägers gegen das am 09.06.2022 verkündete Urteil des Einzelrichters der 2. Zivilkammer des Landgerichts Siegen hat in der Sache keinen Erfolg.
Das Landgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen.
A. Zunächst steht dem Kläger - auch unter Berücksichtigung seines Vorbringens in der Berufungsinstanz - gegen die Beklagte als Herstellerin des in dem streitgegenständlichen Fahrzeug verbauten Dieselmotors EA288 (EU 6) nach keiner erdenklichen Anspruchsgrundlage ein Anspruch auf den von ihm begehrten "großen" Schadensersatz zu.
1) Da zwischen den Parteien keine rechtsgeschäftliche oder rechtsgeschäftsähnliche Beziehung besteht, scheiden etwaige auf § 280 Abs. 1, § 241 Abs. 2, § 311 Abs. 3 BGB zu stützende vertragliche Ansprüche oder solche aus vorvertraglicher Haftung aus (BGH, Urteil vom 16. September 2021 - VII ZR 190/20, Rn. 34, juris).
2) Ebenso wenig folgt ein Anspruch des Klägers aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB. In Fällen wie dem vorliegenden (Gebrauchtwagenkauf) fehlt es schon an der Stoffgleichheit einer etwaigen Vermögenseinbuße des Klägers mit den denkbaren Vermögensvorteilen der Beklagten (BGH, Urteil vom 30. Juli 2020 - VI ZR 5/20 -, Rn. 24).
3) Der Kläger kann den geltend gemachten großen Schadensersatzanspruch auch nicht auf die Verletzung eines Schutzgesetzes stützen (§ 823 Abs. 2 BGB) und damit begründen, die Beklagte habe schuldhaft, eventuell auch bloß fahrlässig, eine unzulässige Abschalteinrichtung i.S.d. Art. 5 VO (EG) Nr. 715/2007 beim streitgegenständlichen Fahrzeug verwendet und deshalb dafür keine Übereinstimmungsbescheinigung ausstellen dürfen (§§ 6, 27 EG-FGV).
Der Bundesgerichtshof hat zwar inzwischen entschieden, dass ein entsprechender gegen den Fahrzeughersteller gerichteter Schadensersatzanspruch im Einzelfall gegeben sein kann, der sich dann in der Rechtsfolge allerdings von vornherein nicht auf die im vorliegenden Rechtsstreit angestrebte Rückabwicklung des Kaufvertrages im Sinne eines großen Schadensersatzes erstreckt, sondern vielmehr auf den sog. Differenzschaden in Höhe des Betrages beschränkt, um den der Käufer das mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehene Fahrzeug zu teuer erworben hat (BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21, Rn. 18 ff., 40).
4) Auch aus §§ 826, 31 BGB oder §§ 831, 826 BGB steht dem Kläger unter dem Gesichtspunkt einer vorsätzlich sittenwidrigen Schädigung gegen die Beklagte kein Anspruch zu.
Der Senat folgt insoweit der gefestigten höchstrichterlichen Rechtsprechung und teilt insbesondere auch das Verständnis des 13. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Hamm von dieser, vgl. u.a. OLG Hamm, Urteil vom 10. August 2023 - I-13 U 90/22 -, juris, Rz. 14ff.
a) Sittenwidrig ist ein Verhalten, das nach seinem Gesamtcharakter, der durch umfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt. Dafür genügt es im Allgemeinen nicht, dass der Handelnde eine Pflicht verletzt und einen Vermögensschaden hervorruft. Vielmehr muss eine besondere Verwerflichkeit seines Verhaltens hinzutreten, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zutage getretenen Gesinnung oder den eingetretenen Folgen ergeben kann (st. Rspr., etwa: BGH, Urteil vom 22. Februar 2022 - VI ZR 934/20 -, Rn. 16, juris m.w.N.). Schon zur Feststellung der Sittenwidrigkeit kann es daher auf Kenntnisse, Absichten und Beweggründe des Handelnden ankommen, die die Bewertung seines Verhaltens als verwerflich rechtfertigen. Die Verwerflichkeit kann sich auch aus einer bewussten Täuschung ergeben (st. Rspr., vgl. BGH, Urteil vom 25. Mai 2020 - VI ZR 252/19 -, BGHZ 225, 316-352, Rn. 15 m.w.N.). Insbesondere bei mittelbaren Schädigungen kommt es ferner darauf an, dass den Schädiger das Unwerturteil, sittenwidrig gehandelt zu haben, gerade auch in Bezug auf die Schäden desjenigen trifft, der Ansprüche aus § 826 BGB geltend macht (st. Rspr., etwa: BGH, Urteil vom 22. Februar 2022 - VI ZR 934/20 -, Rn. 16, juris m.w.N.).
Ein solcher Anspruch aus § 826 BGB ist danach gegeben, wenn ein Hersteller heimlich eine unzulässige Abschalteinrichtung nach Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Juni 2007 über die Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen hinsichtlich der Emissionen von leichten Personenkraftwagen und Nutzfahrzeugen (Euro 5 und Euro 6) und über den Zugang zu Reparatur- und Wartungsinformationen für Fahrze...