Leitsatz (amtlich)
1. Eine Regelung in AGB eines Autovermieters, die eine vertraglich vereinbarte Haftungsreduzierung zu Gunsten des Mieters und des berechtigten Fahrers für den Fall grober Fahrlässigkeit vollständig ausschließt, ist wegen Abweichung vom Leitbild des § 81 Abs. 2 VVG für die Vollkaskoversicherung unwirksam (im Anschluss an BGH Urt. v. 15.7.2014 - VI ZR 452/13, r+s 2014, 491 Rn. 8; BGH Urt. v. 11.10.2011 - VI ZR 46/10, BGHZ 191, 150 Rn. 9-13).
2. An die Stelle der vertraglichen Regelung tritt gemäß § 306 Abs. 2 BGB die gesetzliche Regelung des § 81 Abs. 2 VVG, auch wenn (mittlerweile) eine große Vielzahl von Vollkaskoversicherungsverträgen den Verzicht auf den Einwand der groben Fahrlässigkeit im Sinne des § 81 Abs. 2 VVG vorsehen (im Anschluss an BGH Urt. v. 15.7.2014 - VI ZR 452/13, r+s 2014, 491 Rn. 13 f.).
3. Grobe Fahrlässigkeit im Sinne des § 81 Abs. 2 VVG kann nicht pauschal bei Nichtbeachtung der notwendigen Durchfahrtshöhe von Mietfahrzeugen durch den Mieter oder den berechtigten Fahrer verneint werden, sondern ist einzelfallbezogen - wie hier - zu bejahen oder zu verneinen.
4. Bei der Quotenbildung nach § 81 Abs. 2 VVG kann es zwar zu einem 100 %igen Ausschluss des Versicherungsschutzes (im Anschluss an BGH Urt. v. 22.6.2011 - IV ZR 225/10, BGHZ 190, 120 Rn. 20-33; BGH Urt. v. 11.1.2012 - IV ZR 251/10, r+s 2012, 166 Ls. 1 und Rn. 9 f.) oder umgekehrt zum vollständigen Fortbestand des Versicherungsschutzes kommen; beides kommt indes nur aufgrund der besonderen Umstände des Einzelfalls in Betracht (hier verneint).
5. Sowohl bei unmittelbarer wie auch - wie hier - lückenfüllender Anwendung des § 81 Abs. 2 VVG (wie auch im Rahmen des § 28 Abs. 2 Satz 2 Hs. 1 VVG) ist von der zu entschädigenden Summe zunächst die Selbstbeteiligung in Abzug zu bringen und erst anschließend die Quotelung vorzunehmen.
Verfahrensgang
LG Essen (Aktenzeichen 2 O 96/19) |
Tenor
Auf die Berufung des Beklagten zu 2 wird das am 29.04.2021 verkündete Urteil des Landgerichts Essen, Az. 2 O 96/19, unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Der Beklagte zu 2 wird verurteilt, an die Klägerin 4.541,03 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 12.04.2019 zu zahlen.
Im Übrigen bleibt die Klage gegen den Beklagten zu 2 abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits in erster Instanz werden gegeneinander aufgehoben.
Die Kosten des Rechtsstreits in zweiter Instanz tragen die Klägerin zu 45 % und der Beklagten zu 2 zu 55 %.
Dieses Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe
(abgekürzt gemäß § 540 Abs. 2, § 313a Abs. 1 Satz 1, § 544 Abs. 2 Nr. 1 ZPO)
I. Die Berufung ist teilweise begründet.
1. Die Klägerin, eine gewerbliche Kfz-Vermieterin, hat gegen den Beklagten zu 2 (Geschäftsführer der Mieterin) als Fahrer des gemieteten Transporters einen Anspruch auf Schadensersatz gemäß § 823 Abs. 1 BGB in ausgeurteilter Höhe.
a) Der Beklagte zu 2 hat den im Eigentum der Klägerin stehenden, angemieteten Transporter mit einer notwendigen Durchfahrthöhe von 3,20 m widerrechtlich beschädigt, in dem er diesen gegen die Überdachung eines Fußgängerüberweges auf dem Parkplatz eines Einkaufmarktes mit einer Durchfahrthöhe von nur 2,50 m fuhr.
b) Diese Beschädigung hat der Beklagte zu 2 grob fahrlässig herbeigeführt.
aa) Abweichend von § 823 Abs. 1 BGB hat der Beklagte zu 2 im vorliegenden Fall entsprechend § 81 VVG nur für Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit einzustehen, da die Klägerin als Vermieterin den Beklagten zu 2 als Fahrer des Mietfahrzeugs nach Art der Vollkaskoversicherung von der gesetzlichen Haftung freizustellen hat.
(1) Zwar ist von den folgend wiedergegebenen Regelungen in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Klägerin diejenige der Ziff. 10 Satz 1 des Mietvertrages (Anl. K1, GA I-14) wegen Abweichung von den Grundsätzen der Vollkaskoversicherung, konkret vom Leitbild des § 81 VVG, der bei grober Fahrlässigkeit in Absatz 2 nicht per se ein vollständiges Entfallen der Leistungspflicht vorsieht, gemäß § 307 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB unwirksam (vgl. nur BGH Urt. v. 15.7.2014 - VI ZR 452/13, r+s 2014, 491 Rn. 8; BGH Urt. v. 11.10.2011 - VI ZR 46/10, BGHZ 191, 150 Rn. 9-13):
"9. Haftungsreduzierung
Der Mieter kann - vorbehaltlich Ziff. 10 - seine Haftung für Fahrzeugschäden oder Fahrzeugverlust nach Ziff. 8 gegen Zahlung einer Zusatzgebühr auf eine bestimmte Selbstbeteiligung [scil. hier auf 1.100,00 EUR] reduzieren. [...]
10. Geltung / Wegfall der Haftungsreduzierung
Die Haftungsreduzierung nach Ziff. 9 gilt nicht für vom Mieter / Fahrer vorsätzlich oder grob fahrlässig verursachte Schäden. [...]"
(2) Jedoch tritt gemäß § 306 Abs. 2 BGB an Stelle der vertraglichen Regelung die gesetzliche Regelung des § 81 VVG (vgl. nur BGH Urt. v. 15.7.2014 - VI ZR 452/13, r+s 2014, 491 Rn. 9-10; BGH Urt. v. 11.10.2011 - VI ZR 46/10, BGHZ 191, 150 Rn. 15-20).
So wie der Versicherer gemäß § 81 Abs. 2 VVG berechtigt ist, seine Leistung in einem der Schwere des Verschuldens des...