Leitsatz (amtlich)
Eine von Fahrzeugen grundsätzlich gefahrlos zu passierende Bodenwelle auf einer Landstraße mit einer Tiefe von bis zu 4 cm wird nicht deswegen zu einer abhilfebedürftigen Gefahrenstelle, weil sie bei einem in einer schneidenden Linie abbiegenden Motorrad eine überraschende Fahrzeugbewegung auslösen kann, die dann infolge einer weiteren unbeabsichtigten Lenkbewegung des Fahrers zu einem Sturz führt.
Normenkette
BGB § 839 i.V.m; GG Art. 34; StrWG NRW §§ 9, 9a, 47
Verfahrensgang
LG Detmold (Aktenzeichen 4 O 299/18) |
Tenor
Auf die Berufung des beklagten Landes wird das am 09.07.2020 verkündete Urteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts Detmold teilweise abgeändert.
Die Klage wird vollständig abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe
I. Von der Darstellung eines Tatbestandes wird gemäß §§ 540 Abs. 2, 313a Abs. 1 ZPO abgesehen.
II. Die zulässige Berufung des beklagten Landes hat Erfolg und führt zur vollständigen Abweisung der Klage.
Dem Kläger steht aufgrund seines Sturzes mit seinem Motorrad Suzuki GSXR 1100 am XX.XX.XXXX zwischen 14.00 und 15.00 Uhr beim Abbiegevorgang von der L 001 in die M Straße (K 01) außerhalb von F kein Schadensersatzanspruch gegen das beklagte Land gemäß §§ 839 Abs. 1 S. 1 BGB i. V. m. Art. 34 GG, §§ 9, 9a, 47 Straßen- und Wegegesetz NW als der allein in Betracht kommenden Anspruchsgrundlage zu.
Zwar steht außer Frage, dass das beklagte Land als Baulastträger für den Zustand der L 001 und den Einmündungsbereich zur K 01 verkehrssicherungspflichtig ist. Jedoch fehlt es im vorliegenden Fall an einem schuldhaften Verstoß gegen die Verkehrssicherungspflicht.
1. Die für die Sicherheit der in ihren Verantwortungsbereich fallenden Verkehrsflächen zuständigen Gebietskörperschaften haben im Rahmen des ihnen Zumutbaren nach Kräften darauf hinzuwirken, dass die Verkehrsteilnehmer in diesen Bereichen nicht zu Schaden kommen. Allerdings muss der Sicherungspflichtige nicht für alle denkbaren, auch entfernten Möglichkeiten eines Schadenseintritts Vorsorge treffen, da eine Sicherung, die jeden Unfall ausschließt, praktisch nicht erreichbar ist. Vielmehr bestimmt sich der Umfang der Verkehrssicherungspflicht danach, für welche Art von Verkehr eine Verkehrsfläche nach ihrem Befund unter Berücksichtigung der örtlichen Verhältnisse und der allgemeinen Verkehrsauffassung gewidmet ist und was ein vernünftiger Benutzer an Sicherheit erwarten darf. Dabei haben Verkehrsteilnehmer bzw. die Straßen- und Wegebenutzer die gegebenen Verhältnisse grundsätzlich so hinzunehmen und sich ihnen anzupassen, wie sie sich ihnen erkennbar darbieten, und mit typischen Gefahrenquellen, wie etwa Unebenheiten, zu rechnen. Ein Tätigwerden des Verkehrssicherungspflichtigen ist erst dann geboten, wenn sich für ein sachkundiges Urteil die nahe liegende Möglichkeit einer Rechtsgutsverletzung anderer ergibt (OLG Hamm, Urteil vom 13.01.2006, 9 U 143/05, zitiert nach juris Tz. 9 mit Verweis auf: OLG Hamm, Urteil vom 19.07.1996 zu 9 U 108/96, NZV 1997, S. 43; OLG Hamm, Urteil vom 25.05.2004 zu 9 U 43/04, NJW-RR 2005, S. S. 255, 256). Dies ist der Fall, wenn Gefahren bestehen, die auch für einen sorgfältigen Benutzer bei Beachtung der zu erwartenden Eigensorgfalt nicht oder nicht rechtzeitig erkennbar sind und auf die er sich nicht oder nicht rechtzeitig einzurichten vermag (vgl. dazu grundlegend: BGH, Urteil vom 21.06.1979 zu III ZR 58/78, VersR 1979, S. 1055; BGH, Urteil vom 11.12.1984 zu VI ZR 218/83, NJW 1985, S. 1076; OLG Hamm, Urteil vom 03.02.2009 zu 9 U 101/07, NJW-RR 2010, S. 33; OLG Hamm, a.a.O., NJW 2004, S. 255, 256; OLG Hamm, Urteil vom 09.11.2001 zu 9 U 252/98, NZV 2002, S. 129, 130; Zimmerling/Wingler in: Herberger/Martinek/Rüßmann/Weth/Würdinger, jurisPK-BGB, 9. Aufl., § 839 BGB Rdn. 511; im Anschluss: OLG Celle, Urteil vom 07.03.2001 zu 9 U 218/00, zitiert nach juris). Die Grenze zwischen abhilfebedürftigen Gefahren und von den Benutzern hinzunehmenden Erschwernissen wird dabei maßgeblich durch die sich im Rahmen des Vernünftigen haltenden Sicherheitserwartungen des Verkehrs bestimmt, wobei dem äußeren Erscheinungsbild der Verkehrsfläche und ihrer Verkehrsbedeutung maßgebliche Bedeutung beikommt (OLG Hamm, Urteil vom 13.01.2006 zu 9 U 143/05, NJW-RR 2006, S. 1100; OLG Hamm, a.a.O., NJW-RR 2005, S. 255, 256).
2. Bei Anwendung dieser Grundsätze lässt sich kein Verstoß des beklagten Landes gegen die ihm obliegenden Verpflichtungen feststellen.
Allgemein verbindliche Grundsätze oder eine gefestigte Rechtsprechung, bei welchen Höhenunterschieden ohne Kantenbildung auf einer Fahrbahn die Verkehrssicherungspflicht eine Beseitigung von Bodenwellen und Absenkungen oder zumindest das Aufstellen einer Warnbeschilderung geboten ist, bestehen nicht. Die Annahme einer Verpflichtung eines Verkehrssicherungspflichtigen, Unebenheiten in der Fahrbahn stets zu beseitigen oder zumindest vor ihnen zu warnen, wäre jedoch zu weitgehend. Vielmehr ist erst dann, wenn der Verkeh...