Leitsatz (amtlich)
Der für eine Verkehrsfläche Räum- und Streupflichtige genügt seiner Pflicht nicht dadurch, dass er die eis- und schneeglatte Fläche mit Hobelspänen bestreut. Hobelspäne entfalten keine nennenswerte abstumpfende Wirkung.
Normenkette
BGB § 823 Abs. 1
Verfahrensgang
LG Arnsberg (Urteil vom 09.05.2012; Aktenzeichen 4 O 419/11) |
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird das am 9.5.2012 verkündete Urteil der 4. Zivilkammer des LG Arnsberg abgeändert.
Es wird festgestellt, dass die Beklagten verpflichtet sind, als Gesamtschuldner der Klägerin sämtlichen materiellen Schaden zu 50 % und sämtlichen immateriellen Schaden unter Berücksichtigung eines Mitverschuldensanteils von 50 % zu ersetzen, der ihr dadurch entstanden ist und noch entstehen wird, dass die Klägerin am 6.1.2011 auf dem Gehsteig entlang des Grundstücks L-Straße, N, auf der dortigen Q-Straße zu Fall gekommen ist, soweit Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind.
Die Beklagte zu 1) wird darüber hinaus verurteilt, an die Klägerin einen Betrag i.H.v. 402,82 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 29.3.2011 zu zahlen.
Die weiter gehende Klage bleibt abgewiesen.
Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits werden gegeneinander aufgehoben.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe
I. Die Klägerin nimmt die Beklagte auf Schadensersatz in Anspruch und macht geltend, sie sei am 6.1.2011 gegen 16.55 Uhr in N auf dem Gehweg der Q-Straße vor dem an die Beklagte zu 2) vermieteten Haus der Beklagten zu 1) gestürzt. Da die Beklagten ihrer Räum- und Streupflicht nicht hinrechend nachgekommen seien und nur Hobelspäne gestreut gehabt hätten, sei der Boden glatt gewesen.
Wegen des Weiteren erstinstanzlichen Vortrags der Parteien und der gestellten Anträge wird gem. § 540 ZPO auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen.
Das LG hat die Klage abgewiesen und hat dies u.a. damit begründet, dass die Beklagten ihrer Verkehrssicherungspflicht hinreichend nachgekommen seien. Es sei gerichtsbekannt, dass seit Dezember 2010 außergewöhnlich schwierige winterliche Verhältnisse geherrscht hätten sowie, dass insbesondere Tausalze aufgebraucht und nicht mehr käuflich zu erwerben gewesen seien. Eine unzureichende Bevorratung könne man den Beklagten nicht anlasten. Im Übrigen führe, wie ebenfalls gerichtsbekannt sei, auch die Verwendung von Hobelspänen zu einer abstumpfenden Wirkung. Jedenfalls könne man den Beklagten den Einsatz von Hobelspänen als Streumittel nicht als schuldhaftes Verhalten anlasten.
Die Berufung der Klägerin, mit der diese insbesondere rügt, das LG habe ohne Beweiserhebung weder davon ausgehen dürfen, dass keine Tausalze verfügbar gewesen seien, noch davon, dass Hobelspäne als abstumpfendes Mittel geeignet seien, hat zum Teil Erfolg.
II.1. Dem Grunde nach sind die Beklagten der Klägerin gem. §§ 823, 831, 830, 253 BGB zum Ersatz des materiellen und des immateriellen Schadens verpflichtet, der der Klägerin aus dem Unfall vom 6.1.2011 bereits entstanden ist und künftig noch entstehen wird. Dementsprechend war dem Feststellungsbegehren in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang stattzugeben. Denn bei einer Oberarmfraktur, wie sie die Klägerin erlitten hat, ergibt sich die Möglichkeit weiterer Schadensverwirklichung schon aus der Art der Verletzung.
1.1 Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht fest, dass die Klägerin zu der von ihr angegebenen Zeit an der von ihr bezeichneten Stelle, also auf dem Bürgersteig des Q-Weges vor dem Haus der Beklagten zu 1), ausgerutscht und gestürzt ist. Bewiesen ist ferner, dass es an der Unfallstelle glatt war. Beides wird bestätigt durch die Aussagen der vom Senat vernommenen Zeugen L2, L3 und W in Verbindung mit den eigenen Schilderungen der gem. § 141 ZPO vernommenen Klägerin. Denn die Zeugen haben glaubhaft bekundet, dass sie die Klägerin auf dem Boden liegend vorgefunden haben und dass es dort sehr glatt gewesen ist. Zweifel an der Richtigkeit der Bekundungen ergeben sich nicht aus den Aussagen der Zeugen L, D, H und O. Denn diese Zeugen haben erst geraume Zeit nach dem Unfall von dem Sturz der Klägerin erfahren und konnten daher schon aus diesem Grunde keine zuverlässigen Angaben zum Zustand des Gehweges im Unfallzeitpunkt machen.
Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin aus einem anderen Grund als der Bodenglätte gestürzt ist, sind nicht ersichtlich. Für den Kausalzusammenhang zwischen Glätte und Sturz spricht der Beweis des ersten Anscheins.
1.2 Die Glätte im Bereich der Unfallstelle beruht auf pflichtwidrigem fahrlässigem Verhalten der Beklagten.
Gemäß der Gemeindesatzung war es grundsätzlich Sache der Beklagten zu 1) als Hauseigentümerin, im Bereich der Unfallstelle im Rahmen der sie treffenden Verkehrssicherungspflicht den Winterdienst zu erledigen. Diese Pflicht hatte sie durch den Mietvertrag wirksam auf die Beklagte zu 2) übertragen. Die notwendigen Arbeiten mussten folglich von der Beklagten zu 2) vorgen...