Leitsatz (amtlich)

Untersuchungs- und Rügepflicht des Käufers gem. § 377 HGB trotz Vorlage eines Werkszeugnisses über die chemische Zusammensetzung der Kaufsache durch den Verkäufer.

 

Normenkette

HGB § 377

 

Verfahrensgang

LG Bochum (Urteil vom 18.11.2009; Aktenzeichen I-13 O 156/08)

 

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das am 18.11.2009 verkündete Urteil der 13. Zivilkammer des LG Bochum wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Klägerin darf die Vollstreckung abwenden durch Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit i.H.v. 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

 

Gründe

I. Gemäß § 540 I ZPO wird auf die tatsächlichen Feststellungen des angefochtenen Urteils Bezug genommen, soweit sich aus dem Nachfolgenden nichts anderes ergibt.

Gegen das Urteil richtet sich die Berufung der Klägerin.

Sie rügt, dass entgegen der Ansicht des LG § 377 HGB hier unanwendbar sei. Wenn abredegemäß ein Werkstoffzeugnis des Verkäufers mitgeliefert werde, sei die Klägerin nicht mehr zur nochmaligen eigenen Prüfung verpflichtet. Das sei nicht branchenüblich. Ferner ergänzt die Klägerin ihren Vortrag zum Schaden.

Die Klägerin beantragt,

1) abändernd die Beklagte zu verurteilen, an sie 38.060,48 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 2.7.2008 sowie

2) 1.192,60 EUR vorgerichtliche Anwaltskosten nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz zu zahlen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil und wiederholt und vertieft ihr erstinstanzliches Vorbringen.

II. Die Berufung ist zulässig, jedoch nicht begründet.

Der Klägerin steht aus dem unstreitigen Handelskauf kein Anspruch auf Schadensersatz nach den §§ 433, 434 I 1, 437 Nr. 3, 440, 280, 281 BGB gegen die Beklagte zu.

Auf einen allein in Betracht kommenden Mangel des gelieferten Stahls, weil dessen Kohlenstoffgehalt über den vereinbarten 0,05 % liege, kann sich die Klägerin nicht mehr berufen, weil die Lieferung mangels rechtzeitiger Rüge nach § 377 II HGB als genehmigt gilt.

Gegen diesen Standpunkt, den das LG aufgrund des eingeholten Sachverständigengutachtens eingenommen hat, bestehen keine konkreten Zweifel, die erneute Feststellungen durch den Senat erfordern (§ 529 I ZPO).

1. Dass sich das LG nicht mit einer Beschaffenheitsgarantie der Beklagten für den Kohlenstoffgehalt befasst hat, ist unschädlich. Auf Ansprüche aus einem selbständigen Garantievertag findet zwar die mit der Gewährleistung in engem Zusammenhang stehende Bestimmung des § 377 HGB keine Anwendung; allerdings ist eine Garantieübernahme im Zusammenhang mit bestimmt vereinbarten Eigenschaften der Kaufsache nur mit Vorsicht anzunehmen (BGH WM 1977, 365), und hier abzulehnen. Dass die Beklagte den Kohlenstoffgehalt garantiert hätte, trägt die Klägerin selbst nicht vor. In ihrem prozessualen Vorbringen ist von einer spezifizierten Beschaffenheitsvereinbarung die Rede bzw. vorprozessual von einer zugesicherten Eigenschaft. Beides stellt nunmehr Fälle von § 434 I 1 BGB dar, nicht aber überdies eine Garantie. Es läge unter den beteiligten Kaufleuten auch nahe, dass eine Garantie ausdrücklich und namentlich schriftlich vereinbart worden wäre, wenn sie gewollt gewesen wäre. Dafür liegt nichts vor.

2. Eine verspätete Rüge der Klägerin ergibt sich andererseits nicht nach Nr. IX. 1) AGB der Beklagten (Bl. 55 d.A.).

Es handelt sich um eine Rügeverschärfung über § 377 HGB hinaus. Fragen der wirksamen Einbeziehung stellen sich schon deshalb nicht, weil die Klausel nach § 307 I, II BGB, die auch unter Kaufleuten gelten, unwirksam ist. Die unterschiedslos ohne Rücksicht auf Erkennbarkeit von Mängeln statuierte Pflicht zur unverzüglichen Rüge nach Eingang der Ware führt zu einem Ausschluss jeder Haftung für versteckte Mängel (Baumbach/Hopt, HGB, 39. Aufl., § 377 Rz. 58 m.w.N.).

3. Die Rüge war aber nach § 377 HGB verspätet.

Für die Rechtzeitigkeit von Untersuchung und Rüge hat die Klägerin als Käuferin die Darlegungs- und Beweislast. Unstreitig erfolgte nach den streitgegenständlichen Lieferungen vom 20. und 29.8.2007die Rüge der Klägerin erst am 20.2.2008, also etwa sechs Monate später. Da es sich bei dem Kohlenstoffgehalt im Rechtssinne um einen offenen Mangel handelte, war das zu spät.

Nach ständiger Rechtsprechung (vgl. BGH MDR 1970, 128) liegt ein offener Mangel i.S.d. § 377 I, II HGB vor, wenn er entweder bei der Ablieferung offen zutage tritt -was hinsichtlich der chemischen Zusammensetzung nicht der Fall ist- oder -wie hier- bei einer sachgemäß durchgeführten Untersuchung, soweit diese nach ordnungsgemäßem Geschäftsgang tunlich war, alsbald nach der Ablieferung hätte festgestellt werden können. Dabei lässt sich nicht allgemein gültig festlegen, welche Anforderungen an eine derartige Untersuchungspflicht zu stellen sind, insbesondere ob und unter welchen Voraussetzu...

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