Leitsatz (amtlich)
1.) Quotenbildung gem. § 81 Abs. 2 VVG nach einem Unfall infolge alkoholbedingter Fahruntüchtigkeit
a) Bei Vorliegen relativer Fahruntüchtigkeit (ab ca. 0,3 Promille) wird in der Regel mit einer Kürzungsquote von 50 % zu beginnen sein. Diese Quote steigt nach dem Grad der Alkoholisierung bis auf 100 % bei Erreichen der absoluten Fahruntüchtigkeit von 1,1 Promille.
b) Die so gefundene Quote kann korrigiert werden, wenn besondere Umstände das Maß des Verschuldens in einem anderen Licht erscheinen lassen.
c) Hier:
Geradeausfahren in einer Linkskurve bei 0,59 Promille: Einstiegsquote: 60 % Endquote wegen entlastender Umstände: 50 %
2.) Der in der Strafakte enthaltene Befundbericht zur Feststellung der Alkoholkonzentration kann im Wege des Urkundsbeweises verwertet werden.
3.) Der Richtervorbehalt gem. § 81a Abs. 2 StPO gilt jedenfalls dann nicht, wenn der Betroffene in die Entnahme der Blutprobe eingewilligt hat.
Verfahrensgang
LG Arnsberg (Urteil vom 20.04.2010; Aktenzeichen I-1 O 510/09) |
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird das am 20.4.2010 verkündete Urteil der 1. Zivilkammer des LG Arnsberg abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 4.567,91 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 17.11.2009 zu zahlen.
Die weitergehende Klage wird abgewiesen. Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits erster Instanz werden gegeneinander aufgehoben. Von den Kosten des Rechtsstreits zweiter Instanz tragen die Klägerin 2/3 und die Beklagte 1/3.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe
A. Die Parteien streiten über Ansprüche der Klägerin aus einer Fahrzeugvollversicherung nach einem Unfall der Klägerin vom 15.8.2009 mit ihrem Pkw Opel Astra in A.. Das LG hat den Anspruch der Klägerin, die vollen Ersatz ihres Fahrzeugschadens von 9.135,81 EUR verlangt, um 75 % gekürzt. Mit ihrer Berufung verfolgt die Klägerin ihren Anspruch auf vollen Ersatz weiter.
Wegen des erstinstanzlichen Vortrags der Parteien und wegen der gestellten Anträge wird auf das Urteil des LG Bezug genommen.
Das LG hat der auf Zahlung von 9.135,81 EUR nebst Zinsen gerichteten Klage hinsichtlich eines Teilbetrages von 2.283,95 EUR stattgegeben und im Übrigen abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen wie folgt ausgeführt: Der Anspruch der Klägerin sei um 75 % zu kürzen, weil sie den Versicherungsfall grob fahrlässig herbeigeführt habe.
Die Klägerin habe zum Unfallzeitpunkt eine Blutalkoholkonzentration von 0,59 Promille aufgewiesen. Bedenken gegen die Richtigkeit der durchgeführten Messungen oder gegen die urkundliche Verwertbarkeit des im Strafverfahren erstellten Gutachtens bestünden nicht. Die Klägerin habe einen groben Fahrfehler begangen, als sie von ihrer Fahrspur abgekommen und gegen eine Laterne geprallt sei. Dieses objektiv grobe Fehlverhalten sei auch subjektiv nicht entschuldbar. Der Vortrag der Klägerin, der Unfall sei auf einen Fahrzeugmangel zurückzuführen, sei nicht glaubhaft. Angesichts des objektiv besonders schwerwiegenden Fehlverhaltens sei eine Anspruchskürzung um 75 % vorzunehmen.
Hiergegen richtet sich die Berufung der Klägerin.
Zu Unrecht sei das LG von dem Vorliegen einer Blutalkoholkonzentration von 0,59 Promille bei der Klägerin ausgegangen. Die in der Unfallnacht entnommene Blutprobe unterliege mangels Beachtung des Richtervorbehalts einem Beweisverwertungsverbot. Das LG habe übersehen, dass sie unter Beweis gestellt habe, dass sie vor Fahrtbeginn lediglich ein Glas Rotwein getrunken habe und dass dies nicht zu einer Blutalkoholkonzentration von 0,59 Promille habe führen können.
Überdies habe das LG es unterlassen, ein Sachverständigengutachten zu dem behaupteten Lenkversagen des Fahrzeugs der Klägerin einzuholen. Ferner sei selbst bei einer Blutalkoholkonzentration von 0,59 Promille die Annahme eines grobfahrlässigen Verhaltens ungerechtfertigt. Auch sei eine nahezu vollständige Leistungsfreiheit der Beklagten unangemessen. Allenfalls eine Kürzung um 50 % sei zu rechtfertigen.
Die Klägerin beantragt, abändernd die Beklagte zu verurteilen, an sie, die Klägerin, weitere 6.851,86 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der EZB seit dem 17.11.2009 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt mit näheren Darlegungen die angefochtene Entscheidung.
Der Senat hat die Klägerin persönlich angehört.
B. Die zulässige Berufung der Klägerin ist teilweise begründet. Die Klägerin kann aus der Fahrzeugvollversicherung Leistung i.H.v. 50 % ihres Fahrzeugschadens verlangen; ein weitergehender Anspruch ist nicht gegeben, weil die Beklagte berechtigt ist, ihre Leistung um 50 % zu kürzen.
Die Klägerin hat den Versicherungsfall grob fahrlässig herbeigeführt; der Schwere ihres Verschuldens entspricht eine Leistungskürzung von 50 %.
I. Grundsätzlich ist der Versicherer nach § 81 Abs. 2 VVG im Falle der grob fahrlässigen Herbeiführung des Versicherungsfalls durch den Versicherungsnehmer z...