Verfahrensgang
LG Essen (Entscheidung vom 29.09.1997; Aktenzeichen 8 O 234/97) |
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird - unter Zurückweisung dieses Rechtsmittels im übrigen - das Urteil der 8. Zivilkammer des Landgerichts Essen vom 29. September 1997 teilweise abgeändert und wie folgt neu gefaßt:
Es wird festgestellt, daß die Beklagte zu 1) verpflichtet ist, der Klägerin sämtliche zukünftigen materiellen Schäden aus dem Unfall vom 19. Dezember 1996 in ... Kreuzung ... Straße, zur Hälfte zu ersetzen, soweit Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind.
Im übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Es beschwert die Klägerin in Höhe von 27.000,00 DM, die Beklagte zu 1) in Höhe von 2.000,00 DM.
Tatbestand
Die Klägerin verlangt von der Beklagten zu 1) als Halterin und dem Beklagten zu 2) als Fahrer eines Linienomnibusses Ersatz ihrer materiellen und immateriellen Schäden, die sie sich als Fahrgast in dem Linienomnibus bei einem durch starkes Abbremsen verursachten Sturz zugezogen hat.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen mit der Begründung, die Klägerin habe ein Verschulden des Beklagten zu 2) nicht bewiesen, Ansprüche nach dem Straßenverkehrsgesetz bestünden nicht, weil die Klägerin ohne Grund kurz vor der Haltestelle aufgestanden sei und sich nicht ordnungsgemäß festgehalten habe.
Mit ihrer Berufung begehrt die Klägerin von den Beklagten als Gesamtschuldnern die Zahlung eines angemessenen Schmerzensgeldes sowie die Feststellung der Schadenersatzpflicht der Beklagten für sämtliche zukünftigen materiellen und immateriellen Schäden.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung ist nur zu einem geringen Teil begründet.
Die Klägerin kann lediglich von der Beklagten zu 1) Erstattung der Hälfte der materiellen Zukunftsschäden aus dem Unfall vom 19.12.1996 verlangen. Eine Ersatzpflicht der Beklagten zu 1) für immaterielle Schäden besteht nicht. Vom Beklagten zu 2) kann die Klägerin weder materielle noch immaterielle Schäden ersetzt verlangen.
I.
Die Klägerin kann weder von der Beklagten zu 1) noch von dem Beklagten zu 2) Ersatz ihrer immateriellen Schäden verlangen. Schmerzensgeldansprüche der Klägerin aus den §§ 823, 847 BGB gegen den Beklagten zu 2) und aus den §§ 831, 847 BGB scheitern daran, daß nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme ein verkehrsrichtiges Verhalten des Beklagten zu 2) als bewiesen anzusehen ist. Ein verkehrsrichtiges Verhalten schließt die Verschuldenshaftung des Fahrers und des Halters als Geschäftsherrn aus (BGHZ 24, 21; Lemcke r + s 1997, 365). Dies gilt auch für Ansprüche wegen Vertragspflichtverletzung. Nach der Aussage des Zeugen ... und den Feststellungen des Sachverständigen Dipl.-Ing. ... ist davon auszugehen, daß der Beklagte zu 2) sich dem Kreuzungsbereich mit einer zulässigen Geschwindigkeit unter 50 km/h genähert hat. Dies hat die Auswertung der Diagrammscheibe durch den Sachverständigen zweifelsfrei ergeben. Auch unter Berücksichtigung der Sorgfaltsanforderungen, die an einen ordentlichen Omnibusfahrer zu stellen sind, bestand für den Beklagten zu 2) in der konkreten Situation keine Veranlassung, seine Geschwindigkeit bei Annäherung an den Kreuzungsbereich herabzusetzen. Die Klägerin hat ihre Behauptungen, der Beklagte zu 2) sei mit überhöhter Geschwindigkeit gefahren und habe sogar noch beschleunigt, nicht bewiesen. Ihr Vorbringen ist vielmehr durch das Ergebnis der Beweisaufnahme widerlegt. Der Beklagte zu 2) hat ferner nicht gegen seine Verpflichtung verstoßen, mit Rücksicht auf die ihm zur sicheren Beförderung anvertrauten Personen während der Fahrt nur dann scharf abzubremsen, wenn hierzu eine dringende verkehrliche Notwendigkeit besteht (vgl. Filthaut, Omnibushaftung, Rdn. 74). Stürzt ein Fahrgast beim Abbremsen eines Omnibusses, wird allein hierdurch eine schuldhafte unerlaubte Handlung noch nicht nachgewiesen (vgl. KG VM 1996, 45; OLG Hamm, Urteil vom 16.12.1994 - 9 U 158/94 -; Filthaut NZV 1995, 304). Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht zur Überzeugung des Senats fest, daß der Beklagte zu 2) nicht grundlos gebremst hat. Aus der Aussage des Zeugen ... ergibt sich vielmehr, daß der Beklagte zu 2) den Linienbus verkehrsbedingt zur Vermeidung eines Zusammenstoßes mit einem ihm die Vorfahrt nehmenden, linksabbiegenden Pkw scharf abbremsen mußte. Der Zeuge saß als Fahrgast im Bus. Als er das scharfe Bremsen bemerkte, sah er auf und bemerkte einen roten ... älteren Baujahres, der kurz vor dem herannahenden Bus nach links abgebogen war und in Richtung Hauptbahnhof fuhr. Dies hat der Zeuge bereits eine Woche nach dem Unfall schriftlich gegenüber dem Polizeipräsidium ... auf seinem Zeugen-Fragebogen erklärt. Diese unmittelbar nach dem Unfall gegebene Schilderung hat der Zeuge in seiner vom Senat eingeholten schriftlichen Aussage vom 15.04.1998 bestätigt. Danach saß er vorn im Bus und hat gelesen, als er, durch ein kurzes, sehr scharfes Abbremsen erschreckt, aufschaute und...