Leitsatz (amtlich)
Zu den Voraussetzungen für die Annahme einer gemeinsamen Betriebsstätte i.S.d. § 106 Abs. 3 3. Alt. SGB VII
Normenkette
BGB § 823; SGB VII § 106 Abs. 3 3. Alt, § 105 Abs. 1 S. 1
Verfahrensgang
LG Siegen (Urteil vom 10.05.2012; Aktenzeichen 5 O 252/11) |
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird das am 10.5.2012 verkündete Urteil der Einzelrichterin der 5. Zivilkammer des LG Siegen (5 O 252/11) unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen wie folgt abgeändert:
Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 8.000 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 11.11.2011 zu zahlen.
Die weiter gehende Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits erster Instanz tragen die Klägerin zu 38 % und der Beklagte zu 62 %.
Die Kosten des Berufungsverfahrens tragen die Klägerin zu 20 % und der Beklagte zu 80 %.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe
Die Klägerin verlangt aus abgetretenem Recht von dem Beklagten Schmerzensgeld wegen eines Unfalls, der sich am 10.2.2010 auf dem Gelände der Firma B GmbH in B2 ereignete. Der Ehemann der Klägerin wurde vom Beklagten beim Rückwärtsfahren mit einem Gabelstapler angefahren und erlitt hierbei u.a. eine Tibiakopf- sowie eine Wadenbeinfraktur.
Mit dem angefochtenen Urteil, auf dessen Tatbestand wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes bis zum Abschluss der ersten Instanz gem. § 540 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ZPO Bezug genommen wird, hat das LG die Klage mit der Begründung abgewiesen, eine persönliche Haftung des Beklagten sei nach §§ 106 Abs. 3 i.V.m. §§ 104, 105 SGB VII ausgeschlossen. Der Beklagte und der klägerische Ehemann hätten ungeachtet der Frage, ob der Entladevorgang des Lkw bereits beendet gewesen sei, arbeitsteilig auf einer gemeinsamen Betriebsstätte i.S.d. § 106 Abs. 3 SGB VII zusammen gewirkt.
Mit der dagegen gerichteten Berufung verfolgt die Klägerin ihren Schmerzensgeldanspruch weiter, wobei sie ein Schmerzensgeld i.H.v. 10.000 EUR für angemessen erachtet. Sie behauptet unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vortrags, ein etwaiges Zusammenwirken des Beklagten und ihres Ehemanns sei jedenfalls im Unfallzeitpunkt abgeschlossen gewesen, da der Entladevorgang bereits beendet gewesen sei. Der Beklagte sei bereits mit der Entladung eines anderen Lkws befasst gewesen.
Die Klägerin beantragt, unter Abänderung des angefochtenen Urteils den Beklagten zu verurteilen, an sie ein angemessenes Schmerzensgeld, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Der Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Der Beklagte verteidigt das Urteil mit näheren Ausführungen. Er behauptet, der Ehemann der Klägerin habe, um ein Entladen des Lkw von der Seite entsprechend einer gemeinsamen Absprache zu ermöglichen, die Plane geöffnet und die Runge (Dachstütze) sowie Bretter entfernt. Des Weiteren habe der klägerische Ehemann die auf dem Auflieger vorhandenen Gitterboxen bereitgestellt. Während des Entladevorgangs habe sich dieser an der Plane, der Runge und den Brettern zu schaffen gemacht. Zu diesem Zeitpunkt habe der Beklagte mit einer aufgeladenen Gitterbox zurückgesetzt und den Ehemann der Klägerin umgefahren. Der Beklagte ist weiter der Ansicht, ein etwaiger Anspruch sei wegen überwiegenden Mitverschuldens des klägerischen Ehemanns ausgeschlossen. Dieser habe sich in den ihm wegen vorangegangener Entladungen bekannten Fahrweg des Gabelstaplers gestellt. Der Beklagte habe den klägerischen Ehemann beim Rückwärtssetzen nicht sehen können und im Übrigen nicht damit rechnen müssen, dass sich dieser im Fahrweg des Gabelstaplers aufhalte.
II. Die zulässige Berufung der Klägerin ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet und im Übrigen unbegründet. Der Klägerin steht aus abgetretenem Recht ein Anspruch auf Schmerzensgeld i.H.v. 8.000 EUR aus §§ 823 Abs. 1, Abs. 2 BGB i.V.m. § 229 StGB, 253 Abs. 2, 398 BGB zu.
1. Die Klägerin ist zunächst aufgrund der Abtretungsvereinbarung vom 14.10.2011 zur Geltendmachung des Schmerzensgeldanspruchs berechtigt.
2. Der Beklagte hat den Ehemann der Klägerin beim Rückwärtssetzen mit dem Gabelstapler angefahren und verletzt, § 823 Abs. 1 BGB. Der klägerische Ehemann zog sich unstreitig eine Tibiakopffraktur rechts, eine massive Ergussbildung im rechten Kniegelenk, eine nicht dislozierte Wadenbeinfraktur links und Schürfwunden über dem rechten Innenknöchel zu.
Diese Verletzungen verursachte der Beklagte zumindest fahrlässig, da er sich - wie das Unfallgeschehen belegt - entweder gar nicht oder jedenfalls nicht ausreichend beim Zurücksetzen mit dem Gabelstapler über den rückwärtigen Raum vergewissert hat, obwohl er wusste bzw. jedenfalls damit rechnen musste, dass sich der Ehemann der Klägerin am Lkw aufhielt. Dass letzteres der Fall war, hat der Beklagte im Rahmen seiner persönlichen Anhörung gem. § 141 ZPO vor dem Senat bestätigt. Wo sich der klägerische Ehemann konkret vor dem Unfall...