Entscheidungsstichwort (Thema)
Bereicherungsrecht, Mehrpersonenverhältnis, unwirksame Abtretung, Anweisung; Legitimationswirkung des Versicherungsscheins
Leitsatz (amtlich)
1. Leistet ein Versicherers nach einer unwirksamen Abtretung an den Scheinzessionar, so ist regelmäßig dieser Scheinzessionar Kondiktionsschuldner (so auch hier; Anschluss an BGH, Urteil vom 28.11.1990 - XII ZR 130/89, NJW 1991, 919). Eine Anweisung durch den Scheinzessionar zur Zahlung an einen Dritten ändert regelmäßig nichts (so auch hier).
2. Die Leistung des Versicherers an den vermeintlichen Zessionar kann ggf. auch dann zurückgefordert werden, wenn dieser tatsächlich im Besitz des Versicherungsscheins war.
Regelungen zur Legitimationswirkung des Versicherungsscheins (wie § 12 Abs. 1 ALB 94) sind Schutzvorschriften zugunsten des Versicherers; der Versicherer kann jedenfalls dann auf den Schutz "verzichten", wenn er (wie hier) erst nach Zahlung von den tatsächlichen Gegebenheiten erfährt.
Verfahrensgang
LG Münster (Aktenzeichen 115 O 22/16) |
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird das am 26. Oktober 2016 verkündete Urteil der 115. Zivilkammer des Landgerichts Münster abgeändert.
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 44.101,63 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 25. Februar 2015 zu zahlen.
Die Kosten des Rechtsstreits fallen der Beklagten zur Last.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Vollstreckungsschuldner darf die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des aufgrund dieses Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.
Gründe
I. Die Klägerin nimmt die Beklagte aus Bereicherungsrecht auf Rückzahlung einer zuvor auf Anweisung der Beklagten auf ein Konto des Streithelfers zu 2) überwiesenen Lebensversicherungsleistung in Anspruch.
Für den Streithelfer zu 1) bestand seit dem Jahre 1999 bei der Klägerin ein Lebensversicherungsvertrag zu der Vertragsnummer "U2" mit Ablaufdatum im August 2014. Dem Vertrag lagen die ALB 94 zugrunde. Diese sahen in § 12 folgende Regelung vor:
"§ 12 Welche Bedeutung hat der Versicherungsschein?
(1) Den Inhaber des Versicherungsscheins können wir als berechtigt ansehen, über die Rechte aus dem Versicherungsvertrag zu verfügen, insbesondere Leistungen in Empfang zu nehmen. Wir können aber verlangen, dass uns der Inhaber des Versicherungsscheins seine Berechtigung nachweist.
[...]"
Der Streithelfer zu 2), der Vater des Streithelfers zu 1), schloss mit der I-Bank einen Darlehensvertrag. Zur Sicherung der Ansprüche der Bank aus diesem Darlehensvertrag trat der Streithelfer zu 1) seine Ansprüche aus dem Lebensversicherungsvertrag an die I-Bank ab.
Im Juli 2009 löste der Streithelfer zu 2) den Darlehensvertrag bei der I-Bank ab und schloss zur Anschlussfinanzierung einen weiteren Darlehensvertrag mit der Beklagten.
Beide kamen überein, dass auch die Ansprüche der Beklagten aus dem Darlehensvertrag durch die Ansprüche aus dem Lebensversicherungsvertrag gesichert sein sollten. Dabei nahm die Beklagte an, der Streithelfer zu 2) sei Versicherungsnehmer und daher Gläubiger der aus dem Versicherungsvertrag bestehenden Ansprüche. In diesem Glauben schloss sie mit dem Streithelfer zu 2) im Juli 2009 eine Abtretungsvereinbarung über die Ansprüche "aus Vertrag Nr. U2" (GA 34).
Der Streithelfer zu 1) war an dieser Abtretungsvereinbarung nicht beteiligt und hatte von ihr auch keine Kenntnis.
Ende Juli 2009 zeigte die Beklagte die (vermeintliche) Abtretung bei der Klägerin an.
Anfang August gab die I-Bank die ihr eingeräumte Sicherheit frei und übertrug die an sie abgetretenen Ansprüche aus dem Lebensversicherungsvertrag an den Versicherungsnehmer - also den Streithelfer zu 1) - zurück.
Nachdem der Lebensversicherungsvertrag am 01.08.2014 abgelaufen war, teilte die Klägerin der Beklagten mit, dass ein Auszahlungsbetrag in Höhe von 44.101,63 EUR zur Verfügung stehe.
Die Beklagte wies die Klägerin unter dem 14./15.08.2014 an, diesen Betrag auf ein Konto des Streithelfers zu 2) zu überweisen, das dieser bei der Beklagten unterhielt. Dem kam die Klägerin am 20.08.2014 weisungsgemäß nach. Ob zu diesem Zeitpunkt das Schreiben des Streithelfers zu 1) vom 20.08.2014 bereits der organisatorisch zuständigen Stelle bei der Klägerin vorlag, ist zwischen den Parteien streitig.
Zu diesem Zeitpunkt befand sich der Streithelfer zu 2) im Besitz des Versicherungsscheins zu dem von dem Streithelfer zu 1) abgeschlossenen Lebensversicherungsvertrag.
Mit Schreiben ebenfalls vom 20.08.2014 wies der Streithelfer zu 1) die Klägerin darauf hin, dass seinerseits keine wirksame Abtretung erfolgt sei.
Die Klägerin zahlte in der Folge den Betrag von 44.101,63 EUR nochmals an den Streithelfer zu 1) aus.
Mit Schreiben vom 06.01.2015 und mit weiterem Schreiben vom 12.02.2015 forderte die Klägerin die Beklagte zur Erstattung des gezahlten Betrages auf, was diese aber ablehnte.
Die...