Leitsatz (amtlich)
1. Ein über einen bloßen Mangelverdacht hinausgehender, offenbarungspflichtiger Sachmangel (hier: Blindgängerverdachtspunkt auf dem Nachbargrundstück) liegt vor, wenn dieser zu einer verkehrserheblichen Einschränkung der Nutzung des veräußerten Grundstücks führt. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn Bauvorhaben auf dem veräußerten Grundstück einer vorhergehenden Anzeige bedürfen und behördliche Anordnungen, etwa eine Untersuchung des Grundstücks mittels Bohrungen, nach sich ziehen können.
2. Der Feststellung von Arglist i.S. § 444 BGB steht nicht entgegen, dass die Verkäuferseite die Käufer über die Existenz eines objektiv offenbarungspflichtigen Sachmangels nicht aufklärte, weil sie diesen als unbedeutend ansah.
Normenkette
BGB §§ 280-281, 434, 437
Verfahrensgang
LG Bielefeld (Aktenzeichen 18 O 1/21) |
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das am 04.03.2022 verkündete Urteil der 18. Zivilkammer des Landgerichts Bielefeld (Az. 18 O 1/21) unter Zurückweisung der weiteren Berufung abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Es wird festgestellt, dass die Beklagten zu 1. bis 3. als Gesamtschuldner verpflichtet sind, dem Kläger sämtliche mögliche Schäden zu erstatten, die ihm künftig aufgrund des auf dem Flurstück F1 (Grundbuch des Amtsgerichts Bielefeld von A, Blatt B1, Gemarkung A Flur *) liegenden Bomben-Verdachtspunkt VP 6311 entstehen werden, mit Ausnahme eines etwaigen Minderwertes des Hausgrundstückes C-Straße # (Grundbuch des Amtsgerichts Bielefeld von A, Blatt B1, Gemarkung A Flur *, Flurstücke F2, F3 und F4), der zum Zeitpunkt des Abschlusses des Kaufvertrages des Notars E D UR 0/2020 bereits bestanden hat.
Im Übrigen bleibt die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits I. Instanz tragen der Kläger zu 88 % und die Beklagten zu 12 %; die Kosten des Rechtsstreits II. Instanz tragen der Kläger zu 77 % und die Beklagten zu 23 %.
Das Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
Gründe
I. Der Kläger macht gegenüber den Beklagten Ansprüche aus Mängelgewährleistung aufgrund eines ihm bei Abschluss eines Grundstückskaufvertrags verschwiegenen sog. Blindgängerverdachtspunkts (auch Bombenverdachtspunkt genannt) auf einem benachbarten Flurstück geltend.
Ursprünglich standen das hier streitgegenständliche Hausgrundstück sowie die beiden angrenzenden Flurstücke im jeweils hälftigen Miteigentum der Eltern der Beklagten, G1 und G2, die das Haus selbst bewohnten. Nachdem der Vater der Beklagten im Jahre 2019 verstorben und von den Beklagten beerbt worden war, übertrug die Zeugin G2 den Beklagten ihren hälftigen Miteigentumsanteil am streitgegenständlichen Hausgrundstück, um diesen die Veräußerung des Hausgrundstücks zu ermöglichen. Zum Zeitpunkt des Abschlusses des notariellen Kaufvertrages waren die Beklagten Eigentümer der streitgegenständlichen Flächen.
Vor Beurkundung des Kaufvertrages besichtigte der Kläger das Kaufobjekt zweimal, wobei die Zeugin G2 jeweils anwesend war und Auskünfte und Erläuterungen bezüglich des Hausgrundstücks gab. Dabei wurde der Kläger nicht darüber informiert, dass auf dem unmittelbar an die vom Kläger erworbenen Flurstücke F2, F4 und F3 angrenzenden Flurstück F1, nahe der Grenze zum als Zuwegung genutzten Flurstück F4, ein sog. Blindgängerverdachtspunkt liegt, d.h. ein Verdachtspunkt für eine Einschlagstelle von nicht detonierten Kampfmitteln ("Bombenblindgänger"). Diesbezüglich hatten die Stadt D und die Eltern der Beklagten im Jahre 2019 - im Zuge einer von der Stadt D beabsichtigten Überprüfung des Verdachtspunkts, die u.a. Bohrungen auf dem streitgegenständlichen Flurstück F4 erfordern sollte - eine umfassende Korrespondenz geführt, wegen deren Einzelheiten auf Anlage K3, Bl. 160 ff. d.A., Bezug genommen wird. Zu einer Überprüfung des Verdachtspunkts ist es bisher jedoch nicht gekommen.
Die Parteien schlossen am 23.10.2020 einen notariell beurkundeten Kaufvertrag über das Hausgrundstück C-Straße #, D, Flurstück F2, sowie über die angrenzenden Flurstücke F4 und F3. Als Kaufpreis wurden 385.000,00 Euro vereinbart. In § 3 Abs. 2 des Vertrages schlossen die Parteien Rechte des Käufers wegen eines Sachmangels aus. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den notariellen Vertrag, Anlage K1, Bl. 13 ff. d.A., Bezug genommen.
Einen Tag nach der Beurkundung des Kaufvertrages trafen sich die Parteien an dem Kaufobjekt. Anwesend war auch hier wiederum die Zeugin G2. Im Rahmen dieser Zusammenkunft informierte sie den Kläger erstmals über den Blindgängerverdachtspunkt auf dem Nachbargrundstück und übergab ihm einen von ihr zuvor zusammengestellten Ordner, der Unterlagen betreffend das Kaufobjekt sowie die mit der Stadt D im Jahre 2019 geführte Korrespondenz bezüglich des Verdachtspunkts enthielt.
Der Kläger zahlte in der Folge zunächst lediglich einen Betrag von 335.000,00 Euro an die Beklagten und behielt einen Betrag von 50.000,00 Euro unter Hinweis auf den ihm verschwiegenen Blindgängerverdachtspunkt "bis zur Klärung des Sachverhalts" ein.
Mit Schreiben vom 03.12.202...