Leitsatz (amtlich)
1. Bucht eine Lehrkraft im Namen ihrer Schule eine Schülerreise, ist - wenn eine entsprechende Vertretungsmacht besteht - im Regelfall der Schulträger der Schule Vertragspartner des Reisevertrages, es sei denn, landesrechtliche Vorschriften sehen eine abweichende Regelung vor (vgl. z.B. § 113 Abs. 4 S. 2 NSchG).
2. Die Beantwortung der Frage, ob der Reisende entschädigungslos von der Reise gem. § 651h Abs. 3 S. 1 BGB zurücktreten kann, erfordert eine umfassende Bewertung aller relevanten Umstände auf der Grundlage der zum Zeitpunkt des Rücktritts vorliegenden Gegebenheiten und unter Berücksichtigung des konkreten Inhalts des Reisevertrages.
3. Ein am 12.03.2020 vom Reisenden erklärter, einen Vertrag über eine Schülerreise nach England (für den Zeitraum vom 15.03. bis 21.03.2020) betreffender Rücktritt wegen der Covid-19-Pandemie löst keine Entschädigungsansprüche des Reiseveranstalters gem. § 651 h Abs. 1 S. 3 BGB aus; vielmehr ist dieser gem. § 651 h Abs. 3, 5 BGB verpflichtet, den Reisepreis vollständig zurückzuzahlen, auch wenn zum Zeitpunkt der Rücktrittserklärung eine Reisewarnung des Auswärtigen Amtes der Bundesrepublik Deutschland für das Reiseland nicht bestand.
4. Die mit der Covid-19-Pandemie als Rücktrittsgrund verbundenen tatsächlichen und rechtlichen Fragen und wirtschaftlichen Folgewirkungen zu Lasten des Reiseveranstalters geben keine Veranlassung, die Sache dem Europäischen Gerichtshof vorzulegen.
Verfahrensgang
LG Detmold (Aktenzeichen 01 O 153/20) |
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird das am 01.02.2021 verkündete Urteil der 1. Zivilkammer des Landgerichts Detmold unter Zurückweisung der weitergehenden Berufung abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 8.703,- EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 26.05.2020 zu zahlen.
Im Übrigen bleibt die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits erster und zweiter Instanz werden der Beklagten auferlegt.
Das Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
Der Streitwert für die Berufungsinstanz wird auf 8.703,- EUR festgesetzt.
Gründe
I. Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Rückzahlung des Reisepreises für eine infolge der COVID-19-Pandemie stornierte Kassenfahrt.
Die Klägerin ist eine rechtsfähige kirchliche Stiftung des öffentlichen Rechts und wird im Impressum der Website der Aschule in B als Träger der Schule aufgeführt. Unter dem 24.01.2020 buchte die an der Aschule beschäftigte Lehrkraft Frau C bei der Beklagten, einer auf Klassenfahrten und Gruppenreisen spezialisierten Reiseveranstalterin, eine Gruppenreise nach Liverpool für die Zeit vom 15.03. bis zum 21.03.2020. In dem von der Lehrerin unterschriebenen Buchungsformular (Anlage B5 zum Schriftsatz der Beklagten vom 25.11.2020, Bl. 96 GA) ist als "Vertragspartner" die Aschule angegeben. Neben der Unterschrift der Lehrerin, die in dem Formular als "Ansprechpartner" aufgeführt ist, wurde der Stempel der Schule verwendet. Unter dem 29.01.2020 stellte die Beklagte der Aschule einen Reisepreis in Höhe von 9.666,- EUR in Rechnung (Anlage K1 zur Klageschrift, Bl. 6 GA), den die Klägerin bezahlte. Mit E-Mail vom 12.03.2020 (Anlage B1 zur Klageerwiderung, Bl. 58 GA) stornierte die Lehrerin Frau C die Gruppenreise gegenüber der Beklagten. Diese stellte der Aschule unter dem 31.03.2020 eine Stornorechnung (Anlage K2 zur Klageschrift, Bl. 7 GA), aus der sich ein überzahlter Betrag in Höhe von 963,- EUR ergab, den die Beklagte in der Folgezeit an die Klägerin zurückzahlte. Mit anwaltlichen Schreiben vom 01.04.2020 (Anlage K3 zur Klageschrift, Bl. 8 f. GA) und letztmalig vom 12.05.2020 (Anlage K9 zur Klageschrift, Bl. 21 f. GA) forderte die Klägerin die Beklagte vergeblich zur Zahlung des Differenzbetrages in Höhe von 8.703,- EUR zuletzt bis zum 25.05.2020 auf. Wegen der Einzelheiten der zwischen den Parteien geführten außergerichtlichen Korrespondenz wird auf die mit der Klageschrift zur Gerichtsakte gereichten wechselseitigen Schriftsätze (Anlagen K3 bis K9, Bl. 8 ff. GA) Bezug genommen.
Die Klägerin hat u.a. unter Hinweis auf die Angaben im Impressum der Webseite der Aschule behauptet, dass sie deren Schulträger sei. Sie ist der Ansicht gewesen, der Reisevertrag sei über die insoweit bevollmächtigte Lehrkraft der Schule zwischen ihr und der Beklagten zustande gekommen. Hilfsweise hat sie die Genehmigung des Vertrages über die Buchung der Schulreise erklärt. Sie hat die Auffassung vertreten, dass aufgrund der auch in England grassierenden Coronavirus-Pandemie bereits zum Zeitpunkt der Stornierung der Reise am 12.03.2020 eine Situation vorgelegen habe, die sie gemäß § 651h Abs. 3 BGB zum entschädigungslosen Reiserücktritt berechtigt habe.
Die Klägerin hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an sie 8.703,- EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 26.05.2020 zu zahlen und ihr vorprozessuale Rechtsanwaltskosten in Höhe von 808,13 EUR zu erstatten.
Die Beklagte ha...