Stornierung einer Kreuzfahrt wegen steigender Corona-Inzidenz
Nach einer Entscheidung des AG München kann der Reisepreis für eine während der Zeit der Pandemie gebuchten Reise vom Reiseveranstalter komplett zu erstatten sein, wenn zum Zeitpunkt der Buchung noch nicht absehbar war, dass die Durchführung der Reise durch eine nicht vorhergesehene Entwicklung der Pandemie erheblich beeinträchtigt werden wird.
Mittelmeerkreuzfahrt mit diversen Stadtbesichtigungen gebucht
Die Kläger des vom AG München entschiedenen Verfahrens hatten Anfang Juni 2020, als die Pandemie sich bereits weltweit ausgebreitet hatte, eine Mittelmeerkreuzfahrt inklusive Flug von Hamburg nach Italien für den Zeitraum 24.11.2020 bis 5.12.2020 gebucht. Die Kreuzfahrt sollte in der italienischen Stadt Civitavecchia starten. Von dort sollten die Städte Palermo, Valletta, Barcelona, Marseille und Genua angelaufen werden.
Reiseplanung wurde coronabedingt mehrfach geändert
Am 17.7.2020 teilte die beklagte Schweizer Reiseveranstalterin mit, die Reise müsse coronabedingt um vier Nächte verkürzt werden. Der Preis werde entsprechend reduziert. In der Folgezeit kam es zu weiteren coronabedingten Änderungen der Reise durch die Reiseveranstalterin. Die Kläger waren einverstanden und überwiesen am 6. November 2020 den restlichen Reisepreis. Am gleichen Tag fassten sie den Entschluss, die Reise doch nicht antreten zu wollen und teilten der Reiseveranstalterin noch am gleichen Tag per Mail mit, dass sie die Reise aufgrund des akut erhöhten Infektionsgeschehens für nicht durchführbar hielten und baten um kostenlose Stornierung.
Reiseveranstalterin fordert Stornogebühren in Höhe von 90 % des Reisepreises
Eine kostenlose Stornierung lehnte die Reiseveranstalterin am 12.11.2020 ab. Am gleichen Tag erklärten die Kläger den Rücktritt von der Reise und forderten Rückzahlung des Reisepreises. Die Reiseveranstalterin stellte darauf Stornogebühren in Höhe von 90 % des Reisepreises in Rechnung.
Erhebliche nicht vorhersehbare Einschränkungen der Reiseplanung
Die Kläger bestanden auf Rückzahlung des kompletten Reisepreises. Sie beriefen sich darauf, dass
- Italien am 8.11.2020 vom RKI als Risikogebiet eingestuft worden sei und
- das Auswärtige Amt noch am gleichen Tag eine Reisewarnung herausgegeben habe.
- In Italien habe während der geplanten Reisezeit eine nächtliche Ausgangssperre geherrscht.
- Museen, Theater, Ausstellungen, Restaurants und Bars seien geschlossen gewesen.
- Die für die Kreuzfahrt in Italien geplanten Ausflüge seien undurchführbar gewesen.
- Außerdem hätten sie sich nach den damals geltenden deutschen Reisebestimmungen nach ihrer Rückkehr in eine fünftägige Quarantäne begeben müssen.
Dies alles sei zum Zeitpunkt der Buchung der Reise nicht vorhersehbar gewesen.
Reise in Kenntnis der Risiken gebucht?
Die beklagte Reiseveranstalterin wandte ein, bereits bei Buchung der Reise im Sommer 2020 seien die Auswirkungen der Pandemie allgemein bekannt gewesen. Jeder habe gewusst, dass bestimmte Reisegebiete kurzfristig zum Risikogebiet erklärt werden könnten. Eine Verschlechterung der Infektionslage gerade in den Monaten November/Dezember 2020 sei zum Zeitpunkt der Buchung bereits vorauszusehen gewesen. Die Kläger hätten in Kenntnis dieser Risiken die Reise gebucht.
Offensichtlich hätten sie auf das umfassende Gesundheits- und Sicherungskonzept der Beklagten vertraut, das den Reisenden einen bestmöglichen Schutz gegen Ansteckung geboten habe.
Gericht stellt entscheidend auf Zeitpunkt des Rücktritts ab
Das AG München hat die Entscheidung von der Frage abhängig gemacht, ob die Kläger zum Zeitpunkt der Rücktrittserklärung zu Recht davon ausgegangen sind, dass die konkret gebuchte Reise mit ihren geplanten Aufenthalten in verschiedenen Städten, den geplanten Besichtigungen und unter Berücksichtigung der gebuchten Reiseroute als Ganzes erheblich beeinträchtigt sein würde. Das AG stellte hierbei klar: Bloße Unwohl- und Angstgefühle allein rechtfertigen noch keinen kostenfreien Reise Rücktritt.
Bei Reisebuchung bekannte Gefahren werden mit der Buchung akzeptiert
Das AG differenzierte in seiner Entscheidung penibel zwischen den Gefahren und Beeinträchtigungen, die zum Zeitpunkt der Buchung der Reise bereits bekannt waren und den bis zum Zeitpunkt der Rücktrittserklärung hinzugekommenen Beeinträchtigungen. Die bei Buchung bereits bekannten bzw. absehbaren Beeinträchtigungen hätten die Kläger mit ihrer Buchung akzeptiert, die später hinzugekommenen jedoch nicht.
Zum Zeitpunkt der Buchung war keine Reisewarnung absehbar
Nach den Feststellungen des AG lag die 7-Tage-Inzidenz, also die Zahl der Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner innerhalb von sieben Tagen zum Zeitpunkt der Reisebuchung in Italien bei 3,8, zum Zeitpunkt des Eingangs der Buchungsbestätigung bei 16,3. Eine Reisewarnung des Auswärtigen Amtes habe es angesichts dieser eher niedrigen Inzidenz zu diesem Zeitpunkt nicht gegeben.
Drastischer Anstieg der Inzidenzwerte zwischen Buchung und Rücktritt
Als die Kläger am 6.11.2020 der Beklagten zum ersten Mal mitteilten, die Reise nicht durchführen zu wollen, war die Inzidenz nach den Feststellungen des AG in Italien auf 345,8 gestiegen. Vor diesem Hintergrund habe das Auswärtige Amt eine Reisewarnung für ganz Italien ausgegeben.
Pandemieentwicklung war zum Buchungszeitpunkt nicht vorhersehbar
Mit dieser rasanten Entwicklung der Inzidenzwerte konnten die Kläger nach Auffassung des Gerichts zum Zeitpunkt der Buchung nicht rechnen. Hieraus zog das AG den Schluss, dass die Kläger im November 2020 zu einem kostenlosen Rücktritt von der Kreuzfahrt gemäß § 651h Abs. 1, Abs. 3 BGB berechtigt waren. Die Tatsache, dass die Kläger noch Anfang November den restlichen Reisepreis überwiesen hätten, ändere hieran nichts. Die Beklagte habe daher den Klägern den gesamten bereits gezahlten Reisepreis zu erstatten.
(AG München, Urteil v. 15.6.2021, 113 C 3634/21)
Hintergrund: Reiserücktritt
Die maßgebliche Rechtsnorm für den Reiserücktritt findet sich in § 651h BGB. Gemäß § 651h Abs. 1 BGB hat der Reisende vor Reisebeginn jederzeit das Recht vom Vertrag zurückzutreten.
Rücktritt führt in der Regel zu Stornogebühr
Der Reiseveranstalter verliert infolge eines Rücktritts den Anspruch auf den vereinbarten Reisepreis, kann jedoch gemäß § 651h Abs. 1 Satz 3 BGB eine angemessene Entschädigung verlangen, deren Höhe gemäß § 651h Abs. 2 BGB durch vorformulierte Vertragsbedingungen unter Berücksichtigung bestimmter Parameter wie Rücktrittszeitpunkt und ersparten Aufwendungen des Veranstalters festgelegt werden kann. Bei besonders kurzfristiger Stornierung wird hierbei auch schon mal eine Stornogebühr von 90 % des Reisepreises als zulässig angesehen.
Keine Stornogebühr bei außergewöhnlichen Umständen
Gemäß § 651 h Abs. 3 BGB entfällt der Anspruch auf Zahlung einer Stornogebühr jedoch dann, wenn am Bestimmungsort unvermeidbare, außergewöhnliche Umstände auftreten, die die Durchführung der Pauschalreise erheblich beeinträchtigen. Solche außergewöhnlichen Umstände sind nach ständiger Rechtsprechung in der Regel dann anzunehmen, wenn das Auswärtige Amt für die betreffende Region eine Reisewarnung ausgegeben hat.
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