Leitsatz (amtlich)
Eine Kommune kann, die ihr für einen Straßenbaum obliegende Verkehrssicherungspflicht verletzten, wenn aufgrund einer bei einer Sichtkontrolle erkennbaren Fäulnisbildung am Fuße eines Stämmlings des Baums keine weiteren Maßnahmen getroffen werden, um dessen Standsicherheit zu überprüfen.
Normenkette
BGB § 839; BGB §: 249; GG Art. 34; StrWG NRW §§ 9, 9a, 47
Verfahrensgang
LG Essen (Aktenzeichen 4 O 297/16) |
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das am 9. Januar 2020 verkündete Urteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts Essen teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 38.027,18 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.09.2016 zu zahlen sowie den Kläger von außergerichtlichen Rechtsanwaltsgebühren der Rechtsanwälte U pp. in Höhe von 1.590,91 Euro freizustellen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits erster Instanz tragen die Klägerin zu 25 % und die Beklagte zu 75 %. Die Kosten des Berufungsverfahrens tragen der Kläger zu 60 % und die Beklagte zu 40 %.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe
(ohne Tatbestand gemäß §§ 540 Abs. 2, 313 a Abs. 1 ZPO)
I. Die zulässige Berufung der Beklagten hat in der Sache nur teilweise Erfolg und führt zur teilweisen Abänderung des erstinstanzlichen Urteils dahin, dass die Beklagte unter Abweisung der weitergehenden Klage zur Zahlung von 38.027,18 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.09.2016 sowie zur Freistellung des Klägers von außergerichtlichen Rechtsanwaltsgebühren der Rechtsanwälte U pp. in Höhe von 1.590,91 EUR verurteilt bleibt.
1. Dem Kläger steht aufgrund des streitgegenständlichen Unfallgeschehens vom 10.06.2016 aus § 839 Abs. 1 BGB i.V.m. Art. 34 GG und den §§ 9, 9a, 47 StrWG NRW ein Schadensersatzanspruch gegen die Beklagte in Höhe von 38.027,18 EUR zu. Denn nach dem Ergebnis von Beweisaufnahme steht zur Überzeugung des Senats fest, dass die Beklagte wegen unzureichender Kontrolle der vormals in Höhe des Hauses L Straße Nr. 00 stehenden, mehrstämmigen Esche schuldhaft ihre Verkehrssicherungspflicht verletzt hat und es infolge dessen am 00.06.2016 zu einer Beschädigung des Fahrzeuges Q 000 ... des Klägers gekommen ist. Im Einzelnen:
a) Der Kläger ist hinsichtlich des mit der Klage geltend gemachten Amtshaftungsanspruchs aktivlegitimiert. Nach seinem unwidersprochen gebliebenen Vortrag handelt es sich um sein Fahrzeug. Als Fahrzeugeigentümer ist er hinsichtlich aller sich aus der Beschädigung des Fahrzeuges ergebenden Schadensersatzansprüche aktivlegitimiert. Mit ihrem erstmals in der Berufungsinstanz gehaltenen Sachvortrag, dass angesichts des geringen Alters und der geringen Laufleistung des klägerischen Fahrzeugs davon auszugehen sei, dass der Kläger dieses vollkaskoversichert habe und der Fahrzeugschaden über die Kaskoversicherung reguliert worden sei mit der Folge des Anspruchsüberganges auf den Versicherer, ist die Beklagte gemäß §§ 529, 531 Abs. 2 Nr. 3 ZPO in der Berufungsinstanz präkludiert. Der Vortrag wurde vom Kläger mit der Berufungserwiderung bestritten, weshalb er nicht als unstreitiger Sachvortrag zu berücksichtigen ist. Die Beklagte hat mit der Berufung auch nicht dargetan, aus welchen nicht von ihr zu vertretenden Gründen sie ihn nicht schon in erster Instanz hätte halten können. Dass das Fahrzeug des Klägers zum Unfallzeitpunkt relativ neu war und nur eine geringe Laufleistung hatte, war der Beklagten bereits aufgrund des ihr vorliegenden Schadensgutachtens I vom 18.07.2016 bekannt.
b) Die Beklagte ist für den geltend gemachten Amtshaftungsanspruch passivlegitimiert. Dass ihr für die mehrstämmige Gemeine Esche, welche bis zum 00.06.2010 noch in der gegenüber dem Haus L Straße 00 gelegenen Straßenböschung stand, die Verkehrssicherungspflicht oblag, steht zwischen den Parteien nicht im Streit. Entsprechend wurden von der Beklagten auch vor dem Schadenstag, so unter anderem am 21.08.2015 und 13.04.2016, Kontrollen des Baumes durchgeführt.
c) Die Beklagte hat die ihr für den Baum obliegende Verkehrssicherungspflicht verletzt.
aa) Nach gefestigter Rechtsprechung hat der Straßenverkehrssicherungspflichtige zur Abwehr der von Straßenbäumen ausgehenden Gefahren die Maßnahmen zu treffen, die einerseits zum Schutz gegen Astbruch und Umsturz erforderlich sind, andererseits unter Berücksichtigung des umfangreichen Baumbestandes der öffentlichen Hand zumutbar sind (OLG Hamm, Urteil vom 23.11.2012, I-11 U 108/11). Er muss deshalb Bäume oder Teile von ihnen entfernen, die den Verkehr gefährden. Andererseits ist nicht jede von einem Baum oder einzelne seiner Äste ausgehende Gefahr immer von außen erkennbar. Dieser Umstand vermag jedoch schon aus ökologischen Gründen eine vorsorgliche Entfernung sämtlicher Bäume aus der Nähe von Straßen und Gehwegen nicht zu rechtfertigen, denn der Verkehr muss gewisse Gefahren, die nicht durch menschliches Hand...