Verfahrensgang
LG Münster (Aktenzeichen 011 O 302/20) |
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird das am 03.05.2021 verkündete Urteil des Einzelrichters der 11. Zivilkammer des Landgerichts Münster teilweise abgeändert.
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 6.076,26 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 01.04.2020 zu zahlen.
Im Übrigen bleibt die Klage abgewiesen.
Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe
I. Von der Darstellung des Tatbestandes wird gemäß §§ 540 Abs. 2, 313a Abs. 1 S. 1 ZPO abgesehen.
II. Die Berufung hat in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg.
1. Die Beklagte haftet dem Kläger gemäß § 839 Abs. 1 BGB in Verbindung mit Art. 34 S. 1 GG und §§ 9, 9a, 47 Abs. 1 StrWG NRW.
a) Die Klägerin ist für den von ihr geltend gemachten Schadensersatzanspruch wegen der Beschädigung des Lkw aktivlegitimiert, denn die Klägerin ist Eigentümerin des beschädigten Lkw, was die Beklagte nicht mehr in Frage stellt.
b) Die Beklagte hat durch ihre Mitarbeiter eine gegenüber der Klägerin bestehende Amtspflicht zur Verhinderung von Schäden durch einen Straßenbaum verletzt.
aa) Als Straßenverkehrssicherungspflichtige hat die Beklagte bei den von ihr zu betreuenden öffentlichen Straßen und Wegen die zur Abwehr der von Straßenbäumen ausgehenden Gefahren die Maßnahmen zu treffen, die einerseits zum Schutz gegen Astbruch und Umsturz erforderlich sind, andererseits unter Berücksichtigung des umfangreichen Baumbestandes der öffentlichen Hand auch zumutbar sind. Sie hat daher Bäume oder Teile von ihnen zu entfernen, die den Verkehr gefährden. Andererseits ist nicht jede von einem Baum oder einzelnen seiner Äste ausgehende Gefahr immer von außen erkennbar. Dieser Umstand vermag jedoch schon aus ökologischen Gründen eine vorsorgliche Entfernung sämtlicher Bäume aus der Nähe von Straßen und Gehwegen nicht zu rechtfertigen, denn der Verkehr muss gewisse Gefahren, die nicht durch menschliches Handeln entstehen, sondern auf Gegebenheiten oder Gewalten der Natur beruhen, als unvermeidbar hinnehmen. Eine Verletzung der Verkehrssicherungspflicht liegt in solchen Fällen deshalb nur vor, wenn Anzeichen verkannt oder übersehen worden sind, die nach der Erfahrung auf eine weitere Gefahr durch den Baum hinweisen (BGH, Urteil vom 21.01.1965 - III ZR 217/63, juris Rn. 13; Senatsurteil vom 30.10.2020 - 11 U 34/20, juris Rn. 7; Senatsbeschluss vom 04.11.2013 - 11 U 38/13, juris Rn. 13).
Der Verkehrssicherungspflichtige genügt seiner Überwachungs- und Sicherungspflicht hinsichtlich der Bäume, wenn er diese aufgrund laufender Beobachtung in angemessenen Zeitabständen auf Krankheitsanzeichen hin untersucht und die Pflegemaßnahmen vornimmt, welche für die Beibehaltung der Standfestigkeit des Baumes notwendig sind. Zur Wahrung der Verkehrssicherungspflicht genügt es häufig, wenn der Verkehrssicherungspflichtige zweimal jährlich vom Boden aus ohne Geräte eine fachlich qualifizierte äußere Sichtprüfung des Baumes bezogen auf Gesundheit und Standsicherheit vornimmt (Senatsurteil vom 30.10.2020 - 11 U 34/20, juris Rn. 8). Für diese fachliche Überprüfung müssen keine Fachleute mit Spezialkenntnissen eingesetzt werden; es genügen sachgerecht eingewiesene Beschäftigte, die Anzeichen für Gefahren zutreffend erfassen, um eventuell gebotene eingehendere Spezialuntersuchungen zu veranlassen (vgl. BGH, Urteil vom 21.01.1965 - III ZR 217/63, juris Rn. 14, 28).
Zu einer eingehenderen fachmännischen Untersuchung - mit zum Teil aufwändigen Geräten wie etwa Hubsteiger oder Fractometer - ist der Verkehrssicherungspflichtige erst gehalten, wenn bei der Regelkontrolle an dem betreffenden Baum konkrete Defektsymptome erkennbar sind, wie etwa spärliche und trockene Belaubung, dürre Äste, äußere Verletzungen, Wachstumsauffälligkeiten oder Pilzbefall. Die regelmäßige Durchführung solch eingehender Untersuchungen sämtlicher Bäume auch ohne Vorliegen konkreter Defektsymptome kann nicht vom Verkehrssicherungspflichtigen gefordert werden, weil dies in Anbetracht der umfangreichen Baumbestände der Gebietskörperschaften deren wirtschaftliche Möglichkeiten bei weitem überfordern würde (Senatsurteil vom 30.10.2020 - 11 U 34/20, juris Rn. 9; Senatsbeschluss vom 04.11.2013 - 11 U 38/13, juris Rn. 14).
bb) Die vorstehend umschriebene Verkehrssicherungspflicht hat die Beklagte verletzt. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme liegt ein klarer Haftungsfall vor, der von Seiten der Beklagten zu regulieren ist.
Dabei kann dahinstehen, wie häufig die Bäume an dem streitgegenständlichen Wirtschaftsweg im Bereich der Unfallstelle zu kontrollieren waren. Maßgeblich ist im vorliegenden Fall, das die letzte Kontrolle, die nach dem Vortrag der Beklagten etwa vier Monate vor dem Unfall durch den Zeugen A erfolgt sein soll, was der Zeuge auch glaubhaft bestätigt hat, nicht ordnungsgemäß durchgeführt wurde. Wäre sie ordnungsgemäß erfolgt, wäre der ...