Leitsatz (amtlich)

In situ hergestellter Stickstoff als Biozidprodukt im Sinne des Art. 3 Abs. 1 lit. a BiozidVO

 

Normenkette

Biozid-VO Art. 3 Abs. 1, Art. 17 Abs. 1, Art. 93 Buchst. b)

 

Verfahrensgang

LG Dortmund (Aktenzeichen 19 O 14/19)

 

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das am 31.08.2020 verkündete Urteil der V. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Dortmund - unter Zurückweisung der weitergehenden Berufung - teilweise abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefasst:

1. Die Beklagte wird verurteilt, es zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs Schädlingsbekämpfungen mit dem Wirkstoff Stickstoff (CAS-Nummer 7727-37-9) anzubieten oder durchzuführen, ohne dass das entsprechende Biozidprodukt zugelassen ist, wie ersichtlich aus den Anlagen K4 bis K8, K26, K30 und K32.

Der Beklagten wird für jeden Fall der Zuwiderhandlung die Verhängung eines Ordnungsgeldes von bis zu 250.000,00 EUR, ersatzweise Ordnungshaft, oder von Ordnungshaft bis zu sechs Monaten angedroht, wobei die Ordnungshaft insgesamt zwei Jahre nicht übersteigen darf und an dem Geschäftsführer der Komplementärin der Beklagten zu vollziehen ist.

2. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin für den Zeitraum seit dem 01.09.2017 Auskunft zu erteilen über Art und Umfang der Handlungen gemäß Ziffer 1. durch Angabe der Handlung sowie der Namen und Adressen der Adressaten der Handlungen gemäß Ziffer 1. sowie des jeweiligen Zeitpunktes der Handlungen, geordnet nach dem Datum der Handlung.

3. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin allen Schaden zu ersetzen, der ihr durch die Handlungen gemäß Ziffer 1. bereits entstanden ist und/oder noch entstehen wird.

4. Die Beklagte wird verurteilt, die Klägerin von einer Rechtsanwaltsvergütungsforderung des Rechtsanwaltes A in X in Höhe von 3.726,80 EUR freizustellen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits beider Instanzen tragen die Klägerin zu 3% und die Beklagte zu 97%.

Das Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Soweit sie zur Unterlassung und zur Auskunftserteilung verurteilt worden ist, kann die Beklagte die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110.000,00 EUR abwenden, sofern nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in dieser Höhe leistet. Im Übrigen kann die jeweilige Vollstreckungsschuldnerin die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrages abwenden, sofern nicht die jeweilige Vollstreckungsgläubigerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird für die Beklagte zugelassen.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird - in Abänderung der vorläufigen Wertfestsetzung durch den Senat - endgültig auf 140.000,00 EUR festgesetzt.

Der Streitwert für das erstinstanzliche Verfahren wird - in Abänderung der erstinstanzlichen Wertfestsetzung - ebenfalls auf 140.000,00 EUR festgesetzt.

 

Gründe

A. Die beiden in Österreich ansässigen Parteien bieten (auch) auf dem deutschen Markt Leistungen auf dem Gebiet der Schädlingsbekämpfung an. Zu den Kunden beider Parteien gehören u.a. Museen und andere kulturelle Einrichtungen in Deutschland.

Die Beklagte unterhält den Internetauftritt "Webadresse01". Zu den von ihr angebotenen und angewandten Verfahren zur Schädlingsbekämpfung gehört ein von ihr als "Stickstoffbehandlung/Stickstoffbegasung", mittlerweile teilweise auch als "Behandlung in sauerstoffarmer Atmosphäre" bezeichnetes Verfahren, das insbesondere bei der Behandlung von Kulturgütern zur Anwendung gelangt.

Die Beklagte setzt bei diesem - von ihr in Deutschland jedenfalls vor dem 01.09.2017 bereits mehrfach angewandten - Schädlingsbekämpfungsverfahren den Stickstoff-Generator "B" (Informationsblatt Anlage B1 = Blatt 55-56 der Gerichtsakte) ein. Es handelt sich hierbei um ein technisches Gerät, das Luft (Luft besteht als Gasgemisch im Wesentlichen aus den zwei Gasen Stickstoff [rund 78,08 Vol.-%] und Sauerstoff [rund 20,95 Vol.-%]), welche das Gerät durchströmt, unter Einsatz von Aktivkohle die Sauerstoffmoleküle entzieht und sodann den verbleibenden Stickstoff - mit Reinheitsgraden von bis zu 99,9999% (so jedenfalls die Eigendarstellung des Geräteherstellers) - zur weiteren Verwendung wieder bereitstellt. Bei dem in Rede stehenden Schädlingsbekämpfungsverfahren wird zunächst eine abgeschlossene Einhausung in Form eines Zelts aus luftdicht verschweißten Bahnen um das zu behandelnde Objekt aufgebaut. Der vorbeschriebene Stickstoff-Generator entzieht der Luft innerhalb der Einhausung die Sauerstoff- und Kohlendioxidmoleküle und gibt nur den reinen Stickstoff wieder in die Einhausung ab. Damit in der Einhausung kein Unterdruck entsteht, wird von dem Generator auch Außenluft (Umgebungsluft außerhalb der Einhausung) angesogen und der aus dieser Außenluft herausgefilterte Stickstoff sodann in das Zelt eingelassen. Insgesamt wird innerhalb der Einhausung ein (leichter) Überdruck erzeugt, damit das...

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