Leitsatz (amtlich)
1. Da die schriftlichen Urteilsgründe eine Einheit bilden, können auch in der Beweiswürdigung wiedergegebene und als glaubhaft bewertete Angaben eines Zeugen, welche das Gericht seinen Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen ersichtlich vollumfänglich zugrunde legt, für die revisionsrechtliche Prüfung herangezogen werden, ob die Feststellungen den Schuldspruch tragen.
2. Widersetzt sich der Täter der von einer Angehörigen des Gemeindevollzugsdienstes getroffenen Anhalteanordnung ("Stopp, Halt!"), welche diese in Erfüllung ihrer Aufgabe, das Abschleppen eines in einer Brandschtzzone verbotswidrig abgestellten Fahrzeugs im Wege der Ersatzvornahme zu veranlassen und die Verantwortlichkeit für den dieser Maßnahme zugrundeliegenden Verkehrsverstoß vor Ort zu klären, in der Weise, dass er auf diese mit dem Pkw zufährt, so dass die Amtsträgerin entsprechend der Absicht des Täters zur Seite springen muss, um nicht vom Fahrzeug erfasst zu werden, leistet er bei der von dieser i.S.v. § 113 Abs. 3 StGB rechtmäßig getroffenen Anordnung unter Einsatz materieller Zwangsmittel Widerstand (§ 113 Abs. 1 StGB), wobei er mit dem Pkw - unter Berücksichtigung der konkreten Art dessen Verwendung - ein anderes gefährliches Werkzeug i.S.v. § 113 Abs. 2 Ziff. 1 StGB mit sich führt; gleichzeitig (§ 52 StGB) greift er die Amtsträgerin i.S.v. § 114 Abs. 1 StGB tätlich an. Für die Beurteilung der Diensthandlung als rechtmäßig ist unerheblich, dass der Täter durch das Wegfahren mit dem verbotswidrig abgestellten Pkw den ordnungswidrigen Zustand selbst beseitigt.
Normenkette
StGB § 113 Abs. 2 S. 2 Nr. 1, § 114 Abs. 1, § 11 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b); StPO § 267 Abs. 1 S. 1
Verfahrensgang
AG Baden-Baden (Entscheidung vom 12.10.2022) |
Tenor
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Baden-Baden vom 12. Oktober 2022 wird auf Antrag der Generalstaatsanwaltschaft Karlsruhe, die dem Verteidiger Gelegenheit zur Gegenäußerung gegeben hat, einstimmig als unbegründet verworfen, da die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat (§ 349 Abs. 2 und 3 StPO).
Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen (§ 473 Abs.1 Satz 1 StPO).
Gründe
Der Senat bemerkt im Hinblick auf das Revisionsvorbringen - ergänzend zu den zutreffenden Ausführungen der Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Antragsschrift vom 01.02.2023 - Folgendes:
1. Die amtsgerichtlichen Feststellungen bieten entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers eine noch hinreichende, den Schuldspruch wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte gem. § 113 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 StGB in Tateinheit (§ 52 StGB) mit einem tätlichen Angriff auf Vollstreckungsbeamte gem. § 114 Abs. 1 StGB tragfähige Grundlage.
a. § 267 Abs. 1 S. 1 StPO verpflichtet den Tatrichter, in den Urteilsgründen "die für erwiesenen Tatsachen anzugeben, in denen die gesetzlichen Merkmale der Straftat gefunden werden". Die Urteilsgründe müssen danach in einer geschlossenen, aus sich selbst heraus verständlichen Darstellung alle Tatsachen feststellen, die den objektiven und subjektiven Tatbestand der jeweils angewendeten Strafnorm ausfüllen sollen (BGH StV 2017, 799). Für das Revisionsgericht muss zweifelsfrei erkennbar werden, welche Tatsachen das Tatgericht für erwiesen erachtet und inwiefern es sie den jeweiligen objektiven und subjektiven Tatbestandsmerkmalen zuordnet (BGH NStZ-RR 2017, 123; BGH BeckRS 2017, 120582). Da die Urteilsgründe eine Einheit bilden, sind alle Feststellungen zu berücksichtigen, gleich, wo sie im Urteil niedergeschrieben sind, solange eine eindeutige Trennung der Feststellungen von der Beweiswürdigung erfolgt (BGH NStZ-RR 2011, 231; KK-StPO/Bartel StPO § 267 Rn. 14 m.w.N.). Da das Amtsgericht die (revisionsrechtlich unbedenklich als glaubhaft bewerteten) Angaben der Zeuginnen P. und K. seinen Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen - vollumfänglich - zu Grunde gelegt hat, kann der Senat deren unter III. der schriftlichen Urteilsgründe wiedergegebenen Angaben für seine Prüfung ergänzend heranziehen:
b. Hiernach war von folgendem Sachverhalt auszugehen:
Die Zeuginnen P. und K., Angehörige des Gemeindevollzugsdienstes der Stadt B., stellten am 05.08.2021 gegen 19.40 Uhr fest, dass ein Pkw widerrechtlich in einer Brandschutzzone in der Innenstadt von B. abgestellt war. Daraufhin "tippten" sie eine Verwarnung, führten eine Halteranfrage durch und ordneten an, dass das Fahrzeug abzuschleppen sei. Mit der Durchführung der Maßnahme beauftragten sie ein Abschleppunternehmen. In der Folge erschien das Ehepaar C. vor Ort. Frau C. öffnete die Fahrzeugtür, nahm auf dem Fahrersitz Platz und wollte wegfahren, was die Zeuginnen P. und K. unterbanden. "Aus dem Nichts" erschien nun der Angeklagte, zog Frau C. aus dem Fahrzeug und fuhr mit aufheulendem Motor los, obwohl die Zeuginnen ihn lautstark ("Stopp, Halt!") und mit Handzeichen zum Stehenbleiben aufforderten. Mit ihrer Anordnung wollten die Zeuginnen die...