Entscheidungsstichwort (Thema)
Zur Entbindung des Betroffenen von der Anwesenheitspflicht in der Hauptverhandlung
Verfahrensgang
AG Mannheim (Entscheidung vom 08.03.2016) |
Tenor
- Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts Mannheim vom 8. März 2016 wird zugelassen.
- Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird das Urteil des Amtsgerichts Mannheim vom 8. März 2016 mit den Feststellungen aufgehoben.
- Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an das Amtsgericht Mannheim zurückverwiesen.
Gründe
Das Amtsgericht Mannheim hat mit Urteil vom 8.3.2016 den Einspruch des Betroffenen gegen den Bußgeldbescheid des Regierungspräsidiums Karlsruhe - Zentrale Bußgeldstelle - vom 7.4.2015, mit welchem gegen ihn eine Geldbuße in Höhe von 100 Euro wegen Unterschreitung des erforderlichen Abstands zum vorausfahrenden Fahrzeug festgesetzt worden war, gemäß § 74 Abs. 2 OWiG als unzulässig verworfen. Zur Begründung der Entscheidung führt das Amtsgericht aus, der Betroffene sei zur Hauptverhandlung, ungeachtet der durch Postzustellungsurkunde vom 12.2.2016 nachgewiesenen Ladung, ohne genügende Entschuldigung nicht erschienen.
Mit seiner gegen das Urteil vom 8.3.2016 gerichteten Rechtsbeschwerde, deren Zulassung er beantragt, macht der Betroffene die Verletzung formellen und materiellen Rechts geltend und rügt einen Verstoß gegen seinen Anspruch auf rechtliches Gehör. Die Generalstaatsanwaltschaft Karlsruhe trägt mit Schrift vom 24.6.2016 auf die Verwerfung des Zulassungsantrags an. Dazu nahm der Verteidiger mit Schriftsatz vom 15.7.2016 Stellung.
Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG zuzulassen, weil es geboten ist, das Urteil wegen Verletzung des rechtlichen Gehörs aufzuheben.
1. Die Verfahrensrüge, mit der ein Verstoß gegen §§ 73 Abs. 2, 74 Abs. 2 OWiG und eine Verletzung des Gehörsrechts beanstandet wird, entspricht den Anforderungen der §§ 79 Abs. 3, 80 Abs. 3 OWiG i.V.m. § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO. Der Betroffene hat in noch ausreichender Weise dargelegt, warum das Gericht seinem Antrag auf Entbindung von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen nach § 73 Abs. 2 StPO hätte stattgeben müssen (vgl. OLG Rostock, VRS 115, 138).
2. Die Rechtsbeschwerde hat auch in der Sache Erfolg, weil durch das angefochtene Urteil der Anspruch des Betroffenen auf rechtliches Gehör verletzt worden ist. Eine Gehörsverletzung liegt nicht nur dann vor, wenn einem Betroffenen keine Möglichkeit eingeräumt wird, sich zu allen entscheidungserheblichen und für ihn nachteiligen Tatsachen und Beweisergebnissen zu äußern (vgl. Göhler, OWIG, 16. Auflage 2012, Rdn. 16 a zu § 80 m.w.N.), sondern auch dann, wenn das Gericht den Sachvortrag einer Partei aus unzulässigen verfahrensrechtlichen Gründen nicht zur Kenntnis nimmt. Dies ist der Fall, wenn sachliche Einwendungen des Betroffenen deshalb unberücksichtigt bleiben, weil bei seinem Ausbleiben in der Hauptverhandlung nicht in Abwesenheit des Betroffenen zur Sache verhandelt wird, obwohl die Voraussetzungen dafür nach § 74 Abs. 1 OWiG vorliegen. Diese sind auch dann gegeben, wenn das Gericht einen Antrag des Betroffenen, ihn gemäß § 73 Abs. 2 OWiG von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen zu entbinden, rechtsfehlerhaft abgelehnt oder nicht beschieden hat (vgl. OLG Karlsruhe, NStZ 2015, 407 m.w.N.).
Der Betroffene hatte mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 16.2.2016 wirksam einen solchen Antrag gestellt. Der Verteidiger war durch vom 19.2.2015 datierende Vollmacht, die sich seit dem 12.11.2015 bei den Akten befindet, legitimiert, einen Entpflichtungsantrag für den Betroffenen bei Gericht anzubringen und ihn in der Erklärung und im Willen zu vertreten. Durch die genannte Urkunde wurde der Verteidiger ausdrücklich zur "Vertretung, insbesondere auch in meiner Abwesenheit" bevollmächtigt und darüber hinaus "ermächtigt, ... Anträge auf Entbindung von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen in der Hauptverhandlung zu stellen". Einer weitergehenden Konkretisierung bedurfte die Vertretungsvollmacht nicht (vgl. OLG Köln, NJW 1969, 705; Göhler, OWiG, 16. Aufl. 2012, Rdn. 4 und Rdn. 27 zu § 73; Rdn. 13 zu § 60; KK-OWiG, 4. Aufl. 2014, Rdn. 41 zu § 73, jeweils m.w.N.). Der hier somit vertretungsberechtigte Verteidiger durfte im Rahmen des § 73 Abs. 2 OWiG auch schriftliche Erklärungen für den Betroffenen abgeben (OLG Stuttgart, ZfSch 2002, 252). Er hat daher mit dem genannten Schriftsatz vom 16.2.2016 ebenfalls wirksam für den Betroffenen die Fahrereigenschaft eingeräumt und erklärt, dass dieser sich unter keinen Umständen zu seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen äußern werde.
Nach § 73 Abs. 2 OWiG entbindet das Bußgeldgericht einen Betroffenen auf seinen Antrag hin von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen in der Hauptverhandlung, wenn er sich zur Sache geäußert oder erklärt hat, dass er sich in der Hauptverhandlung nicht zur Sache äußern werde, und seine Anwesenheit zur Aufklärung wesentliche...