Entscheidungsstichwort (Thema)
Übertragung der Entscheidungsbefugnis über die Religionszugehörigkeit des Kindes
Leitsatz (amtlich)
1) Es ist nicht geboten, ein knapp 3jähriges Kind, dessen getrennt lebende, jedoch gemeinsam sorgeberechtigte Eltern aus verschiedenen Kulturkreisen stammen und verschiedenen Religionsgemeinschaften angehören, bereits jetzt endgültig in eine Religionsgemeinschaft zu integrieren.
2) Eine Entscheidung über das religiöse Bekenntnis löst nicht das Spannungsverhältnis, welches durch die Konfrontation des Kindes mit den unterschiedlichen Praktiken der Religionsausübung von Mutter und Vater bedingt ist. Es obliegt den Eltern, religiöse Toleranz gegenüber dem jeweils anderen Bekenntnis walten zu lassen und das verstandesmäßig noch nicht gereifte Kind insoweit keinen unnötigen Spannungen auszusetzen.
Normenkette
BGB § 1628; RelKErzG § 2
Verfahrensgang
AG Pforzheim (Beschluss vom 21.09.2015; Aktenzeichen 1 F 219/14) |
Tenor
1. Auf die Beschwerde des Vaters wird der Beschluss des AG - Familiengericht - Pforzheim vom 21.09.2015 - 1 F 219/14 - in Nr. 1. des Tenors aufgehoben. Der Antrag der Mutter wird zurückgewiesen.
2. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden gegeneinander aufgehoben.
3. Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf 3.000 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Die Eltern und das Kind M. sind deutsche Staatsangehörige. Die Eltern hatten unverheiratet zusammengelebt. Ihre Trennung erfolgte im Juli 2014. Seither lebt M. bei der Mutter, die wieder verheiratet ist und in ihrer neuen Familie den evangelischen Glauben praktiziert. Der Vater ist türkischer Abstammung, in Deutschland geboren und besitzt seit 2006 die deutsche Staatsangehörigkeit. Er arbeitet seit 13 Jahren bei demselben Unternehmen als Versand- und Lagerarbeiter. Der Vater neigt dem mohammedanischen Glauben zu, zieht das türkische dem deutschen Essen vor und lehnt das Essen von Schweinefleisch ab. Er ist beschnitten und wünscht dies auch von seinem Sohn, ohne dies durchsetzen zu wollen.
Es besteht die gemeinsame elterliche Sorge für M., die die Eltern noch vor der Geburt des Kindes durch Abgabe entsprechender Sorgeerklärungen gewählt haben.
Die Mutter hat ursprünglich die elterliche Sorge für M. begehrt, da die Eltern bezüglich der religiösen und kulturellen Entwicklung des Kindes nicht zusammenarbeiten könnten. M. solle im christlichen Glauben erzogen und getauft werden und in der Schule am evangelischen Religionsunterricht teilnehmen. Die Mutter macht geltend, dass M. während des Umganges mit dem Vater von diesem gegen den christlichen Glauben eingestellt und zu Gunsten muslimischer Glaubensgrundsätze beeinflusst werde.
Zuletzt hat die Mutter beantragt, ihr das Recht zur Entscheidung über die Religionszughörigkeit für M. zu übertragen.
Der Vater hat Antragszurückweisung beantragt.
Er sieht keinen Anlass für eine frühzeitige Festlegung der Religionszugehörigkeit des Kindes.
Durch den angegriffenen Beschluss hat das Familiengericht der Mutter das Recht zur Entscheidung über die Religionszugehörigkeit für M. übertragen. Auf die Beschlussgründe wird Bezug genommen.
Dagegen richtet sich die rechtzeitig eingegangene Beschwerde des Vaters. Der Vater meint, der angegriffene Beschluss verstoße gegen das Gesetz über die religiöse Kindererziehung und Art. 14 UN-Kinderrechtskonvention. Eine Entscheidung über die Religionszugehörigkeit des Kindes sei in Anbetracht dessen geringen Alters nicht erforderlich, auch wenn Mutter und Vater das Kind je in ihre eigene Religion einführten. Der Vater wünscht sich religiöse Toleranz der Eltern; dies würde auch den zwischen ihnen bestehenden Konflikt entschärfen.
Der Vater beantragt, die Aufhebung des Beschlusses des AG - Familiengericht - Pforzheim vom 21.09.2015.
Die Mutter beantragt Beschwerdezurückweisung.
Die Mutter weist darauf hin, dass die jetzige Entscheidung über die Religionszugehörigkeit des Kindes nicht endgültig und lebenslang sei. Die unterschiedliche Orientierung der Eltern führe das Kind in einen immer größer werdenden Konflikt. Da das Kind bei der Mutter lebe, entspreche es dem Kindeswohl, dass das Kind demselben Glauben angehöre wie die Mutter.
Der Verfahrensbeistand berichtet, dass M. aufgrund seines Alters zu religiösen Inhalten keine Stellung nehmen könne. Beide Elternteile seien bestrebt, ihm ihre Religion nahe zu bringen. Nach Aussagen der Mutter führe dies zu Auffälligkeiten bei M., insbesondere beim Beten. Der Verfahrensbeistand befürchtet angesichts der Haltung der Eltern massive innere Konflikte des Kindes aufgrund eines jahrelangen Machtkampfs der Eltern. Deshalb sei die von dem Familiengericht getroffene Entscheidung dem Kindeswohl entsprechend.
Der Senat hat mit Beschluss vom 22.10.2015 die Vollziehung des angegriffenen Beschlusses des Familiengerichts vorläufig ausgesetzt.
Im Übrigen wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und Sitzungsniederschriften verwiesen.
II. Die gem. §§ 58 ff. FamFG zulässige Beschwerde des Vaters ist begründet. Es besteht derzeit kein Anlass, aus Gründen ...