Leitsatz (amtlich)

1. Durch eine neue Vollzugsplanfortschreibung tritt keine Erledigung einer früheren und bei Gericht zur Überprüfung anhängigen Vollzugsplanung ein, wenn dem Rechtschutzinteresse des Gefangenen hierin nicht umfassend Rechnung getragen worden ist.

2. Nur wenn die Vollzugsanstalt alle maßgeblichen Umstände in die zu treffende Entscheidung über die Gewährung vollzugsöffnender Maßnahmen mit einstellt, steht ihr bei dem Merkmal der Eignung sowie bei den Versagungsgründen der Flucht- und Missbrauchsgefahr ein - verfassungsrechtlich nicht zu beanstandender - Beurteilungsspielraum zu, in dessen Rahmen sie bei Achtung der Grundrechte des Gefangenen mehrere Entscheidungen treffen kann, die gleichermaßen rechtlich vertretbar sind und bei denen sich die gerichtliche Nachprüfung darauf beschränkt, ob die Vollzugsbehörde bei ihrer Entscheidung von einem zutreffend und vollständig ermittelten Sachverhalt ausgegangen ist, ob sie ihrer Entscheidung den richtigen Begriff der Eignung und des Versagungsgrundes zugrunde gelegt und ob sie dabei die Grenzen des ihr zustehenden Beurteilungsspielraums eingehalten hatt.

3. Der der Vollzugsanstalt insoweit bei der Gewährung vollzugsöffnender Maßnahmen zustehende Beurteilungsspielraum sowie das ihr zusätzlich eröffnete Ermessen kann jedoch aus verfassungsrechtlichen Gründen dann keine uneingeschränkte Geltung beanspruchen, wenn es um die Gewährung von vollzugsöffnenden Maßnahmen beim Vollzug der lebenslangen Freiheitsstrafe geht.

4. Das in § 9 Abs. 1 JVollzGB Baden-Württemberg verwendete und neben den Versagungsgründen der Flucht- und Missbrauchsgefahr eigenständige Merkmal der Eignung stellt vor allem auf die Festigung der Persönlichkeit des Gefangenen ab. Anhaltspunkte hierfür können sich dabei vor allem aus einem eigenverantwortlichen und auch die Interessen der anderen Gefangenen berücksichtigenden, durch Selbstdisziplin gekennzeichneten Vollzugsverhalten ergeben.

 

Tenor

  1. Auf die Rechtsbeschwerde des Verurteilten werden der Beschluss des Landgerichts - Strafvollstreckungskammer - Z. vom 30. Juni 2014 und die Fortschreibung des Vollzugsplans der Justizvollzugsanstalt U. vom 06. August 2012 aufgehoben, soweit dies die Entscheidungen über die Gewährung vollzugsöffnender Maßnahmen sowie die Unterbringung im offenen/geschlossen Vollzug betrifft.
  2. Die Justizvollzugsanstalt U. wird verpflichtet, den Vollzugsplan unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats zu den oben genannten Punkten neu fortzuschreiben.
  3. Die weitergehende Rechtsbeschwerde wird als unbegründet verworfen.
  4. Der Beschwerdeführer trägt die Kosten des Verfahrens. Jedoch wird die Gebühr für das Rechtsbeschwerdeverfahren um die Hälfte ermäßigt. Die Staatskasse trägt die Hälfte der im Rechtsbeschwerdeverfahren entstandenen notwendigen Auslagen des Beschwerdeführers.
  5. Der Gegenstandswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 1000,- € festgesetzt.
 

Gründe

I.

Der am 06.11.1975 geborene Strafgefangene wurde durch Urteil des Landgerichts - Schwurgericht X. - vom 07.10.2004 wegen Mordes, versuchten Totschlags und gemeinschaftlich versuchter räuberischer Erpressung unter Einbeziehung der Strafen aus dem Strafbefehl des Amtsgerichts X. vom 28.09.2002 und dem Urteil des Amtsgerichts Y. vom 12.12.2000 zu lebenslanger Freiheitsstrafe als Gesamtstrafe verurteilt, welche er .... in der Justizvollzugsanstalt U. verbüßt. 15 Jahre der verhängten lebenslangen Freiheitsstrafe werden am 27.09.2016 vollstreckt sein.

Am 06.08.2012 fand in der Justizvollzugsanstalt U. eine Vollzugsplankonferenz statt, in welcher der frühere Vollzugsplan vom 19.04.2011 fortgeschrieben wurde. Gegen den ihm am 07.09.2012 eröffneten neuen Vollzugsplan vom 06.08.2012 wandte sich der Verurteilte mit seinem Antrag auf gerichtliche Entscheidung vom 19.09.2012, in dem er die Aufhebung der Vollzugsplanfortschreibung beantragte - und zwar "insbesondere" insoweit, als ihm darin Vollzugslockerungen, Urlaub, Freigang sowie Verlegung in den offenen Vollzug versagt wurden. Außerdem beantragte er, die Vollzugsbehörde zur Gewährung von Lockerungen zu verpflichten.

Diese Anträge verwarf die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Z. mit Beschluss vom 30.06.2014 als unbegründet. Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Verurteilten, mit welcher eine Verletzung materiellen Rechts beanstandet wird.

II.

Die Rechtsbeschwerde ist gem. § 118 Abs. 1 StVollzG form- und fristgemäß eingelegt und gemäß § 116 Abs. 1 StVollzG zulässig, da die Nachprüfung der angefochtenen Entscheidung der Strafvollstreckungskammer zur Fortbildung des Rechts und zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung geboten ist. Insoweit ist nach Bewertung des Senats auch keine Erledigung eingetreten, da durch die nach dem 06.08.2012 ergangenen Vollzugsplanfortschreibungen dem Rechtschutzinteresse des Gefangenen nicht umfassend Rechnung getragen worden ist (vgl. hierzu OLG Koblenz, Beschluss vom 13.03.2014, 2 Ws 374/13, bei [...], dort Rn. 9; siehe hierzu auch BVerfG, Beschluss vom 16.03.2014, 2 BvR 2381/13, ...

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