Verfahrensgang

LG Karlsruhe (Aktenzeichen 6 OH 22/16)

 

Tenor

Auf die sofortige Beschwerde der Antragsteller wird der Beschluss des Landgerichts Karlsruhe vom 31.08.2017 folgendermaßen abgeändert:

Der Sachverständige F wird angewiesen, die erforderlichen Arbeiten für das Öffnen und Freilegen der zu untersuchenden Bauteile in seiner Funktion als Sachverständiger selbst oder durch Beauftragung hierfür geeigneter Hilfspersonen durchzuführen.

 

Gründe

I. Der durch Beweisbeschluss des Landgerichts mit der Begutachtung der Balkonabdichtung beauftragte Sachverständige hat mit Schreiben vom 20.03.2017 mitgeteilt, zur Beantwortung der Beweisfrage sei eine Öffnung des Fliesenbelages unvermeidlich. Er weise jedoch darauf hin, dass es dabei zu Schäden an der Abdichtung kommen könne. Er fordere deshalb die beweisführende Partei auf, die erforderlichen Arbeiten in seinem Beisein ausführen zu lassen, wofür er jede Haftung ablehne.

Die Antragsteller, die Eigentümer des Bauwerks sind, haben daraufhin beantragt, den Sachverständigen anzuweisen, die erforderliche Bauteilöffnung selbst zu veranlassen. Das Landgericht hat diesen Antrag abgelehnt. Hiergegen richtet sich die sofortige Beschwerde der Antragsteller.

II. Das zulässige Rechtsmittel hat in der Sache Erfolg. Es führt zur Abänderung des angefochtenen Beschlusses sowie zur Erteilung der beantragten Weisung an den Sachverständigen.

Die Frage, ob der gerichtlich bestellte Sachverständige gemäß § 404a Abs. 1 ZPO angewiesen werden kann, von ihm für erforderlich gehaltene Bauteilöffnungen selbst vorzunehmen bzw. vornehmen zu lassen, wird nicht einhellig beantwortet. Im Vordringen befindet sich jedoch die Ansicht, wonach der Sachverständige eine zur Beantwortung der Beweisfrage erforderliche Bauteilöffnung selbst oder durch geeignete Hilfspersonen durchführen muss und diese Tätigkeit nicht auf die Parteien verlagern kann, wenn diese damit nicht einverstanden sind (vgl. nur OLG Celle BauR 2017, 918; OLG Celle BauR 2005, 1358; OLG Jena BauR 2007, 441; OLG Frankfurt NJW 1998, 2834; Kniffka / Koeble, Kompendium des Baurechts, 4. Aufl., 2. Teil Rn. 130; Kern, BauR 2014, 603 ff.; a. A. Werner / Pastor, Der Bauprozess, 16. Aufl., Rn. 91; Dötsch, NZBau 2008, 217). Dem ist zuzustimmen. Der Sachverständige hat aufgrund seiner Sachkunde und Funktion in eigener Verantwortung Art und Umfang der Maßnahmen zu bestimmen, die zur Beantwortung der Beweisfrage erforderlich sind. Diese Maßnahmen hat er selbst oder durch geeignete Hilfspersonen zu ergreifen. Dazu zählt auch, die Grundlagen für die Beantwortung der Beweisfrage und damit die Erstattung des Gutachtens zu schaffen. Nur er selbst hat zu beurteilen, was dazu erforderlich ist. Er hat seine Hilfspersonen dementsprechend anzuleiten; somit obliegt ihm regelmäßig auch die Leitung einer erforderlichen Bauteilöffnung (zutreffend OLG Celle a.a.O.). Das sieht der Sachverständige vorliegend nicht anders: Er besteht darauf, dass die Bauteilöffnung im Ortstermin in seinem Beisein durchgeführt wird; lediglich den entsprechenden Auftrag möchte er aus Haftungsgründen nicht selbst erteilen. Die Zuziehung von Hilfspersonen gehört jedoch nach zutreffender Auffassung zum Aufgabengebiet des Sachverständigen, wenn sie zur Erstattung des Gutachtens erforderlich ist. Somit ist auch eine Bauteilöffnung vom Sachverständigen jedenfalls dann durchzuführen oder zu veranlassen, wenn - wie hier - der Eigentümer des Bauwerks dem Substanzeingriff zugestimmt hat (OLG Celle BauR 2005, 1358 m.w.N.).

Die von der Gegenansicht vorgebrachten Argumente greifen letztlich nicht durch. Die Haftungsrisiken des Sachverständigen, der eine Bauteilöffnung durchführt bzw. durchführen lässt, sind beherrschbar (vgl. nur Kern, BauR, 2014, 603, 610 ff.; Kniffka / Koeble, a.a.O.; auch Dötsch, NZBau 2008, 217, 221). Im übrigen trägt der Sachverständige für die größten Risiken einer Bauteilöffnung die Verantwortung auch dann, wenn er sie nicht selbst durchführt oder durchführen lässt (zutreffend Kern, a.a.O. 612). Auch der prozessuale Beibringungsgrundsatz steht einer Weisung an den Sachverständigen, eine Bauteilöffnung durchzuführen, nicht entgegen (Kern, a.a.O., 607 f.; Kniffka / Koeble, a.a.O.). Wollte man dies anders sehen, wäre letztlich eine Bauteilöffnung jedem Bausachverständigen grundsätzlich untersagt, was die angefochtene Entscheidung auch annehmen will.

Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst.

 

Fundstellen

Haufe-Index 12114551

IBR 2018, 599

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