Leitsatz (amtlich)
1.
Zur vorläufigen Fahrerlaubnisentziehung bei unverhältnismäßig langer Verfahrensdauer.
2.
Beantragt die Staatsanwaltschaft im Berufungsrechtszug die Wiedereinbeziehung von Tatteilen, die vom Amtsgericht gemäß § 154 a StPO ausgeschieden worden waren, ist das Berufungsgericht auch zur Entscheidung über diese Tatteile berufen. Eine Rückverweisung an das Amtsgericht ist nicht zulässig.
Tenor
Auf die Beschwerde des Angeklagten wird der Beschluss des Landgerichts U. vom 06. Dezember 2004 aufgehoben.
Die Staatskasse trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die dem Angeklagten insoweit entstandenen notwendigen Auslagen.
Gründe
I.
Am 21.05.2004 erließ das Amtsgericht Z. gegen den Angeklagten, einen Polizeibeamten, einen Strafbefehl, in welchem ihm ein Vergehen der fahrlässigen Trunkenheit im Verkehr (BAK 2,13 Promille) und drei Vergehen des Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte, in einem Fall in Tateinheit mit versuchtem gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr (Tatzeit 08.09.2003) vorgeworfen wurden. Auf seinen - hinsichtlich des Trunkenheitsvorwurfs auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkten - Einspruch verurteilte ihn das Amtsgericht Z. am 08.07.2004 wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr zu der Geldstrafe von 50 Tagessätzen zu je 40 EUR. Zugleich entzog es ihm die Fahrerlaubnis, zog den bereits am 19.09.2003 zu den Akten gegebenen Führerschein ein und wies die Verwaltungsbehörde an, vor Ablauf von drei Monaten keine neue Fahrerlaubnis zu erteilen. Bezüglich der übrigen Vorwürfe war das Verfahren nach mehrstündiger Verhandlung mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft gemäß § 154a StPO eingestellt worden.
Auf die Berufung der Staatsanwaltschaft, die zugleich die Wiedereinbeziehung der ausgeschiedenen Teile der Tat gem. § 154a Abs. 3 Satz 2 StPO beantragte, hob das Landgericht U. mit Urteil vom 06.10.2004 das Urteil des Amtsgerichts im Rechtsfolgenausspruch auf und verwies die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung auch über die wieder einzubeziehenden Widerstandshandlungen zurück. Gegen dieses Urteil des Landgerichts hat der Angeklagte Revision eingelegt, über die noch nicht entschieden ist, und mit am 20.11.2004 eingekommenem Schriftsatz seines Verteidigers die Herausgabe des Führerscheins beantragt. Hierauf hat die Strafkammer mit dem angefochtenen Beschluss vom 06.12.2004 dem Angeklagten die Fahrerlaubnis vorläufig entzogen.
Seine hiergegen gerichtete Beschwerde hat Erfolg.
II.
Das gem. § 304 Abs. 1 StPO statthafte und zulässige Rechtsmittel ist begründet. Unbeschadet des fortbestehenden dringenden Tatverdachts hinsichtlich der fahrlässigen Trunkenheit im Verkehr und unabhängig von der Frage, ob angesichts der seit dem Vorfall vom 08.09.2003 verstrichenen Zeit noch ein Eignungsmangel i.S. von § 69 StGB und damit ein dringender Grund für die Maßnahme nach § 111 a StPO besteht, ist die Aufhebung des Beschlusses vom 06.12.2004 veranlasst, weil die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis wegen vermeidbarer, auf sachwidriger Behandlung beruhender Verzögerungen des Verfahrens unverhältnismäßig ist.
Die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis ist wie alle strafprozessualen Zwangsmaßnahmen verfassungsrechtlichen Schranken unterworfen, die sich besonders im Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und in dem Beschleunigungsgebot konkretisieren. Die Belastung aus einem Eingriff in den grundrechtlich geschützten Bereich eines Beschuldigten muss in einem vernünftigen Verhältnis zu den der Allgemeinheit erwachsenden Vorteilen stehen. Dieses Übermaßverbot setzt der Zulässigkeit eines Eingriffs nicht nur bei dessen Anordnung und Vollziehung, sondern auch bei dessen Fortdauer Grenzen. Darüber hinaus erfordern das Rechtsstaatsgebot und Art. 6 Abs. 1 EMRK eine angemessene Beschleunigung des Strafverfahrens. Andernfalls wird bei Versäumnissen im Justizbereich und dadurch eintretenden erheblichen Verfahrensverzögerungen das Recht eines Beschuldigten auf ein rechtsstaatliches, faires Verfahren verletzt. Ermittlungsverfahren, in denen eine vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis angeordnet wurde, sind daher mit besonderer Beschleunigung zu führen (OLG Hamm NZV 2002, 380; OLG Düsseldorf StV 1994, 233; OLG Köln NZV 1991, 243; Schäfer in Löwe-Rosenberg, StPO, 25. Aufl. § 111 a Rdnr. 3, 14).
Im vorliegenden Verfahren ist gegen das Beschleunigungsgebot in erheblicher Weise verstoßen worden und dadurch eine so gravierende Verfahrensverzögerung eingetreten, dass die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis keinen weiteren Bestand haben kann.
1.
Nach der Sicherstellung des Führerscheins am 19.09.2003 und der Erstellung des polizeilichen Schlussberichts am 13.11.2003 wurden die Akten der Staatsanwaltschaft U. vorgelegt, die dem Verteidiger am 01.12.2003 Akteneinsicht mit einer Frist zur Stellungnahme bis 15.01.2004 gewährte. Nachdem binnen dieser großzügig bemessenen Frist entgegen der Ankündigung des Verteidigers keine Stellungnahme eingegangen war, hätte die Sache unverzüglich gerichtlich anhängig gemacht werden müssen. ...