Entscheidungsstichwort (Thema)
Fahrlässige Trunkenheit im Verkehr: Strafrechtliche Einstufung von Pedelecs als Kraftfahrzeuge. Bestimmung der absoluten Fahruntüchtigkeit bei Pedelecs
Leitsatz (amtlich)
1. Es liegt nahe, Elektrofahrräder mit Begrenzung der motorunterstützten Geschwindigkeit auf 25 km/h (sog. Pedelecs) auch strafrechtlich nicht als Kraftfahrzeuge einzustufen.
2. Für die Beurteilung der absoluten Fahruntüchtigkeit von Pedelec-Fahrern kommt es nicht darauf an, ob Pedelecs strafrechtlich als Kraftfahrzeuge einzustufen sind.
3. Ein Erfahrungssatz, dass Pedelec-Fahrer unterhalb des für Fahrradfahrer geltenden Grenzwertes von 1,6 Promille Blutalkoholkonzentration absolut fahruntüchtig sind, besteht nach dem derzeitigen wissenschaftlichen Erkenntnisstand nicht.
Tenor
Der Senat weist darauf hin, dass
- nach vorläufiger Beurteilung für die entscheidungserhebliche Frage, ab welchem Blutalkoholgehalt Fahrer von Elektrofahrrädern (Pedelecs) unwiderleglich als nicht mehr zum Führen des Fahrzeugs geeignet anzusehen sind (absolute Fahruntüchtigkeit), nicht maßgeblich ist, ob Pedelecs (straßenverkehrs-) rechtlich als Kraftfahrzeuge einzustufen sind,
- nach den vom Senat angestellten Nachforschungen derzeit keine gesicherten naturwissenschaftlichen Erkenntnisse bestehen, dass Fahrer von Pedelecs bereits unterhalb der für Fahrradfahrer geltenden Grenze von 1,6 ‰ Blutalkoholkonzentration absolut fahruntüchtig sind.
- Die Verfahrensbeteiligten erhalten Gelegenheit zur Äußerung bis 15.8.2020.
Gründe
I.
Der Angeklagte ist von Amts- und Landgericht vom Vorwurf der fahrlässigen Trunkenheit im Verkehr freigesprochen worden. Nach den im Berufungsurteil des Landgerichts Freiburg getroffenen Feststellungen stieß der Angeklagte am Abend des 9.5.2018 als Fahrer eines Pedelecs mit einer auf seinen Fahrweg einbiegenden Fahrradfahrerin zusammen. Bei dem Pedelec handelt es sich um ein Elektrofahrrad mit einem zuschaltbaren Elektromotor mit einer Nenndauerleistung von 250 Watt, der das Fahrrad bis zu einer Geschwindigkeit von 6 km/h ohne Trittunterstützung, darüber bis zu einer Geschwindigkeit bis 25 km/h beim Treten (mit-) antreibt. Nach den weiteren - nach vorläufiger Würdigung auf rechtsfehlerfreier Beweiswürdigung beruhenden - Feststellungen hatte der Angeklagte dabei eine maximale Alkoholkonzentration von 1,59 ‰ im Blut, ohne dass die vorhandenen Beweise für die Annahme ausreichten, der Angeklagte sei deshalb alkoholbedingt nicht mehr zum Führen des Fahrzeugs in der Lage gewesen. Im Weiteren sind Amts- und Landgericht auf der Grundlage von § 1 Abs. 3 StVG davon ausgegangen, dass Pedelecs nicht als Kraftfahrzeuge einzustufen sind und deshalb bei der Beurteilung der absoluten Fahruntüchtigkeit nicht der für Kraftfahrer geltende Grenzwert von 1,1 ‰, sondern der für Fahrradfahrer geltende Grenzwert von 1,6 ‰ zugrunde zu legen ist. Hiergegen wendet sich die Staatsanwaltschaft Freiburg mit ihrer auf die Sachrüge gestützten Revision, die auch von der Generalstaatsanwaltschaft Karlsruhe vertreten wird.
II.
Auf der Grundlage der im angefochtenen landgerichtlichen Urteil getroffenen Feststellungen kann eine Verurteilung des Angeklagten wegen (fahrlässiger) Trunkenheit im Verkehr nur erfolgen, wenn die bei ihm festgestellte Blutalkoholkonzentration zur Bewertung führt, dass er deshalb absolut fahruntüchtig war. Soweit sowohl Amts- und Landgericht als auch Staatsanwaltschaft und Generalstaatsanwaltschaft es dabei für maßgeblich erachtet haben, ob das vom Angeklagten geführte Elektrofahrrad rechtlich als Kraftfahrzeug zu behandeln ist, vermag der Senat dem nicht zu folgen.
1. Allerdings neigt der Senat entgegen der von Staatsanwaltschaft und Generalstaatsanwaltschaft unter Berufung auf Stimmen in der Literatur (vor allem König in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 45. Aufl., § 316 Rn. 17) vertretenen Meinung bereits zu der Auffassung, dass der Ausnahme der technisch - jedenfalls bei zugeschaltetem Motor - zweifelsfrei als Kraftfahrzeuge (vgl. § 1 Abs. 2 StVG) einzustufenden Pedelecs vom straßenverkehrsrechtlichen Kraftfahrzeugbegriff in § 1 Abs. 3 StVG auch für die Auslegung desselben Begriffes im Strafrecht Bedeutung zukommt.
a) Dabei verkennt der Senat nicht, dass in § 1 Abs. 3 StVG ausdrücklich bestimmt ist, dass diese Elektrofahrräder keine Kraftfahrzeuge im Sinne dieses Gesetzes, also des Straßenverkehrsgesetzes, sind und Anlass für die Einfügung des § 1 Abs. 3 StVG durch das Gesetz zur Änderung des Güterkraftverkehrsgesetzes und anderer Gesetze vom 17.6.2013 (BGBl. I S. 1558) eine Zulassungsfragen betreffende EU-Richtlinie war (BT-Drs. 17/12856 S. 11).
b) Gleichwohl ist es allgemein anerkannt, dass die Begrifflichkeiten straßenverkehrsrechtlicher Gesetze wegen des gleichen Schutzzwecks, der Verkehrssicherheit, auch bei der Auslegung der den Straßenverkehr betreffenden strafrechtlichen Normen heranzuziehen sind (BGHSt 50, 93, 100 - zum Begriff der Ungeeignetheit; so im Übrigen auch LK-König, StGB, 12. Aufl. 2008, § 315c Rn. 7). Es ent...